: Vietnams Dissidenten vor abweisenden Mauern
Die Kommunisten planen für den VII. Parteitag wirtschaftliche Konzessionen — um den Preis politischer Knebelung ■ Von Heinz Kotte
„Ein ehrlicher Bürger kann kein normales Leben mehr führen“, resümierte Bui Tin in einer Petition an die Kommunistische Partei, zur Zeit Vietnams prominentester Dissident, der seit Ende letzten Jahres in Pariser Exil lebt. Der gefeierte „Befreier Saigons“ aus dem Jahre 1975 und in Ungnade gefallene Vize-Chefredakteur der Pateizeitung 'Nhan Dan‘ bringt zum Ausdruck, was die Mehrheit des vietnamesischen Volkes noch nicht öffentlich auszusprechen wagt. Der Unmut über das Mißmanagement der Wirtschaft wächst, und die Kritik an der Parteiführung wird immer lauter. Vorläufig sind es nur altverdiente Parteikader oder angesehene Intelektuelle die öffentliche Kritik wagen.
Für den VII. Parteitag, der mehrfach verschoben wurde, liegen drei Reformpapiere zur öffentlichen Debatte vor: das politische Programm, die Wirtschaftsstrategie 2000 und der fünfte Entwurf des politischen Berichtes des Zentralkomitees. Grundtenor der Programme: die Rettung des vietnamesischen Sozialismus und der Schutz der sozialistischen Wirtschaft vor der freien Marktwirtschaft des Kapitalismus — ein Vorwand zur Erhaltung der Macht des angeschlagenen Parteiapparates, so die Kritiker.
Einer von ihnen, der greise Nguyen Khac Vien (78), eine angesehene Persönlichkeit und der Verfechter eines humanistischen Sozialismus, sagte in einem Brief an die Patriotische Front vom Januar 1991: „Das Problem des 7. Kongresses ist nicht das Programm, sondern die Partei selbst, die Lösung der Probleme ihrer Organisation.“ Er nennt die Partei „degeneriert“, den Apparat „impotent“ und fordert den freiwilligen Rücktritt der Parteiführung, die überaltert sei und den Kontakt zum Volke verloren habe. (Das Durchschnittsalter des ZK beträgt 64, des Politbüros 74 Jahre). Der Sozialismus habe als Alternative zum Kapitalismus versagt: „Eine auf Profit aufgebaute Marktwirtschaft kennt keinen Humanismus, ein bürokratischer Apparat kann sich jedoch auch nicht als Verfechter von Humanismus legitimieren.“
Bui Tin, der brillante Journalist der Parteizeitung Nhan Dan, wurde wegen seiner Kritik an der Parteiführung am 7. März 1991 aus der Partei ausgeschlossen. Die Begründung lautete „Verrat an der Partei durch seine Tätigkeit und Reden in der ausländischen Presse und im Rundfunk.“ Seine 12 Punkte umfassende Petition eines Bürgers gipfelt in der Forderung nach einer „Außerordentlichen Politischen Konferenz“, deren Teilnehmer sich aus allen Bereichen der Gesellschaft, einschließlich der ins Ausland geflüchteten Bürger, zusammensetzen. Sie soll eine Plattform für die Neuwahl der Nationalversammlung und die Bildung einer „Regierung des Nationalen Aufbaus“ erarbeiten. Wie Nguyen Khach Vien verurteilt auch er den „real existierenden Sozialismus“ in Vietnam, möchte „eine sozialistische Option offenhalten, deren Inhalt erst zu bestimmen ist“. Seine Interviews auf der vietnamesischen Welle der BBC London werden in Vietnam wie ein „Befreiungprogramm“ aufgenommen und kursieren auf Kassetten im ganzen Land.
Alle Medien sind 1990 durch ein restriktives Pressegesetz noch stärker unter die Kontrolle der Parteiführung gestellt worden. Inzwischen sind ein halbes Dutzend Chefredakteure von Parteiorganen abgelöst worden. Trotzdem finden kritische Beiträge ihren Weg in die Zeitungen. Ein theoretisches Organ der Partei hatte in der Märzausgabe über eine Debatte der Positionspapiere zum VII. Parteitag berichtet und Hong Ha, einen regimekritischen Ökonomen im Arbeits- und Sozialministerium in der umstrittenen Frage des Eigentumsrechtes zitiert: „Marx irrte, als er Staats- und Genossenschaftseigentum zum obersten Ziel für die Bildung einer neuen Gesellschaft erklärte.“ Daraufhin wurde der Chefredakteur zur Rechenschaft gezogen und die Chefredakteure aller Presseorgane auf einer eigens einberufenen Konferenz aufgefordert, mehr „Zurückhaltung zu üben.“
Noch schärfer geht die Partei gegen oppositionelle Schriftsteller und Künstler vor, die, vergleichbar mit anderen repressiven Regimen, auch in Vietnam mit künstlerischen Formen die unterdrückte Kommunikation und Auseinandersetzung ersetzen. Das letzte Opfer der Unterdrückung ist die bekannte Schriftstellerin Duong Thu Huong, die im März 1990 aus der Partei ausgestoßen und am 16. April verhaftet wurde, als sie ein Manuskript per Kurier ins Ausland zu schicken versuchte. Im April 1988 wurde Doan Quoc Sy mit drei anderen Schriftstellern zu acht Jahren Haft wegen „konterrevolutionärer Propaganda mit der Absicht, die Regierung zu stürzen“ verurteilt. Der Lyriker Nguyen Chi Thien hat inzwischen über 30 Jahre, mehr als die Hälfte seines Lebens, im Gefängnis verbracht. Zuletzt wurde er bei der Übergabe seines Manuskriptes Blumen aus der Hölle verhaftet, das 1984 als Buch in den USA erschienen ist.
Seit dem Umsturz in Polen und der DDR, den die Kirchen mitinitiierten, werden die Religionsgemeinschaften besonders mißtrauisch beobachtet und Regimekritiker rigoros verfolgt. 1988 wurden in einem spektakulären Buddhistenprozeß 21 Pagodenleiter, Mönche und Nonnen verurteilt, darunter auch die prominenten Buddhisten Thich Tue Sy und Thich Tri Sieu. Die beiden führenden Mönche der An Quang Pagode in Saigon, dem Widerstandszentrum gegen alle repressiven Regime, Thich Quang Do und Thich Huyen Quang, werden seit 1982 verfolgt und sind weit von Saigon in Landprovinzen verbannt.
Seit Mai 1990 leben auch die beiden kritischen katholischen Theologen Pater Chan Tin und Nguyen Ngoc Lan in der Verbannung und stehen unter Hausarrest. Pater Chan Tin, der beliebte Volksprediger von der Stadtkirche Ky Dong in Saigon, steht unter ständiger Polizeikontrolle und wird strikt von Außenkontakten abgeschirmt. Der greise Pater (70) hatte schon während des Thieu Regimes offen Menschenrechtsverletzungen angeprangert, wohl nicht ahnend, daß er nach der Befreiung selbst ein Opfer politischer Unterdrückung werden würde.
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