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Grüne vor der Ruhe nach dem Sturm

In Köln wollen die Grünen den Chaos-Parteitag von Neumünster zu Ende bringen/ Aufbruch-Fraktion hat resigniert, Realos tun sich schwer mit nüchterner Bewertung der Ergebnisse von Neumünster  ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski

In der Erwartung eines ruhigen Verlaufs sind sich die Akteure einig. Die „Highlights“ seien bereits in Neumünster abgearbeitet worden, sagt die neue Bundesvorstandssprecherin Christine Weiske ohne Ironie über die Fortsetzung des im zeitweiligen Chaos mit Trillerpfeifenlärm und Wasserpistolen nicht zu Ende gebrachten Parteitages von Ende April. Auch der in Neumünster als Vorstandssprecher gescheiterte hessische Realo Hubert Kleinert erwartet einen „ruhigen, fast braven“ zweiten Durchgang. Den Appell des Vorstands an die Delegierten, sich gut zu benehmen und das „Erscheinungsbild von Neumünster nachhaltig zu korrigieren“, scheint unnötig. Im Mittelpunkt des heute in der Kölner Sporthalle beginnenden, zweitägigen Treffens wird die Wahl der fünf Vorstandsbeisitzer und einer politischen Geschäftsführerin stehen — eine zentrale Position, die faktisch einem dritten Vorstandssprecher entspricht.

Die beiden in Neumünster gewählten SprecherInnen Ludger Volmer und Christine Weiske, die gleichermaßen zu den Linken der Partei gerechnet werden, haben sich im Vorfeld bemüht, Konfliktstoff aus dem Restprogramm der Strukturreform zu nehmen. Eine „Clearing- Kommission“ unter Mitarbeit des niedersächsischen Konsensspezialisten Helmut Lippelt, hat alles getan, die „losen Enden“ (Lippelt) möglichst zur abschließenden Beratung in den neu geschaffenen Länderrat zu verschieben und nicht in allen Einzelheiten in Köln auszukämpfen. Das gilt insbesondere für den drastischen Abbau der grünen Bundesarbeitsgemeinschaften (BAG). Diese sollen — wegen der derzeitigen Ebbe in der grünen Kasse und insbesondere wegen des Wunsches nach strafferer Anbindung der teilweise völlig autonomen BAGs — von derzeit über 30 auf rund ein Dutzend zusammengestrichen werden.

Statt der Neuauflage der ätzenden Strukturdebatte soll der Parteitag politische Signale setzen. Die Grünen wollen sich für eine neue Verfassung stark machen — eine Woche, bevor in der Frankfurter Paulskirche ein entsprechender Entwurf vorgelegt wird, der sich anlehnt an die Arbeit des Runden Tisches. Es charakterisiert unfreiwillig das distanzierte Verhältnis zu den Bürgerbewegungen im Bündnis 90/Grüne, daß sämtliche vorgesehenen RednerInnen aus den westlichen Bundesländern kommen. SprecherInnen aus dem Osten hätten trotz aller Bemühungen abgesagt, so Weiske.

Flagge zeigen möchten die Grünen auch mit einer Debatte über den weltweiten Einsatz der Bundeswehr. Das erscheint dem Vorstand um so drängender, als die in Neumünster zu diesem Thema geführte Diskussion wegen des nachfolgenden Chaos in den Medien unterging und derzeit allein die SPD in dieser Frage das Feld beherrscht.

Aufschluß, wie tief die Gräben in der Partei nach der Neumünsteraner Niederlage der Aufbruch-Sprecherin Antje Vollmer und des Realos Hubert Kleinert sind, kann die Besetzung der politischen Geschäftsführung geben. In den ursprünglichen Denkmodellen der Realos für eine Strukturreform sollte diese Position vom Vorstand besetzt werden und dessen verlängerten Arm darstellen. In Neumünster haben die Delegierten für den Posten allerdings eine Wahl vorgeschrieben — und damit faktisch zum dritten Sprecher aufgewertet. Damit im vierköpfigen geschäftsführenden Vorstand (zwei Sprecher, ein Schatzmeister und ein Geschäftsführer) die Quote eingehalten wird, kann nur eine Frau gewählt werden. Als Kandidatin steht bislang allerdings nur die ehemalige Vorstandssprecherin Heide Rühle bereit, die von ehemals lupenreinen Realo-Positionen zwischenzeitlich nach links gerückt ist. Das Vertrauen der realpolitischen Kräfte und des Aufbruchs besitzt sie nicht; auf eine eigene Kandidatin aber verzichteten die Realos.

Während die Aufbruch-Vertreter deutliche Zeichen von Resignation und Rückzug zeigen, üben sich die in Neumünster bei der Vorstandsbesetzung unterlegenen Realos in zurückhaltender Beobachtung. Bei ihrer Strategie der grünen Erneuerung setzen sie derzeit mehr auf das neu eingerichtete Gremium des Länderrats. In diesem höchsten beschlußfassenden Gremium zwischen den Parteitagen sind die realpolitisch orientierten Landesfürsten jetzt direkt an der Entscheidungsfindung der Partei beteiligt.

Nur teilweise ist die Erkenntnis bei den realpolitischen Kräften gewachsen, daß man zwar in Neumünster bei der Vorstandswahl unterlegen ist, dennoch aber wesentliche Erfolge für eine Neuorientierung der Partei erzielt hat. Die radikale Linke um Jutta Ditfurth hat die Partei verlassen. Der vom Linken Forum kommende Ludger Volmer vertritt realpolitische Positionen und kann in seiner Scharnierfunktion zwischen den Strömungen nur mit den Realos zusammen erfolgreich sein. Der Wahlerfolg der realpolitisch gewendeten Hamburger Grünen hat das Dogma ad absurdum geführt, nur alle Strömungen gemeinsam könnten die Fünf-Prozent-Hürde überwinden.

Selbst Hubert Kleinert, der Anfang der Woche noch im 'Spiegel‘ auf die Partei einschlug, sieht nach dem Hamburger Wahlerfolg nun gewisse positive Zeichen. Aber dennoch: „Das ist unsere Sache nicht“, drückt Kleinert zugleich die verbreitete Stimmung der Realos gegenüber der Bundesebene der Partei aus. Der jetzige Vorstand sei nicht in der Lage, „starke Signale zu setzen“, glaubt Kleinert zudem. Den Vorstand „auszuhungern“ werde nicht gelingen, hält Ludger Volmer dagegen. Er wolle eine integrative Politik machen. Werde allerdings dieser „Ansatz zerschlagen, dann weiß ich, wo mein Platz ist“, läßt Volmer zugleich keinen Zweifel daran, daß er sich weiterhin zur Parteilinken zählt.

Für den auch in seinem eigenen Realo-Lager nicht wohlgelittenen Udo Knapp ist dagegen die „Zeit der Suche nach einem innerparteilichen Watschenmann“ vorbei, die Ergebnisse von Neumünster seien tragfähig. Jetzt, so Knapp, müßten die Realos mithelfen, der Republik zu demonstrieren, daß die Grünen ein berechenbarer und verläßlicher Partner für eine politische Wende sind. Der hessische Umweltminister Josef Fischer jedenfalls scheint zur Zusammenarbeit bereit: Er hat die von Ludger Volmer wohl als integrative Geste gemeinte Einladung angenommen, in der „Blauhelm“-Debatte zu reden.

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