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Bundesrat gibt Regierung Kontra

■ Länderkammer lehnt Steuerpaket und Rüstungsexportkontrollgesetz ab/ Bundestag läßt sich nicht entmutigen und verabschiedet Haushalt 91/ Koalition für Mehrwertsteueranhebung auf 15 Prozent

Bonn (dpa/ap/taz) — Erstmals seit der Verschiebung der Bundesratsmehrheit haben jetzt die SPD-geführten Länder von ihrem Vetorecht Gebrauch gemacht. Bei ihrer gestrigen Sitzung lehnte die Länderkammer sowohl das Steuergesetzespaket zur Finanzierung des Aufschwungs Ost als auch die Novelle zur Rüstungsexportkontrolle ab. In beiden Fällen soll jetzt der Vermittlungsausschuß Kompromißvorschläge erarbeiten. Finanzminister Waigel warnte in der abschließenden Haushaltsdebatte des Bundestags vor den Konsequenzen der Bundesratsentscheidung. Vor allem potentielle Investoren in den neuen Ländern würden durch die Ablehnung des Steuerpaketes verunsichert.

Nicht hinnehmen will die Bundesratsmehrheit beim Steuerpaket den 7,5prozentigen Solidaritätszuschlag zur Lohn- und Einkommensteuer. Er soll im Interesse der sozialen Ausgewogenheit erst ab Einkommen von 60.000 Mark bei Ledigen und 120.000 Mark bei Verheirateten erhoben werden. Umstritten ist auch, daß 1991 bis 1994 jeweils 200 Millionen Mark Bundesmittel für den kommunalen Straßenbau im Osten den westdeutschen Ländern abgezogen werden. Die Bundesratsmehrheit verlangt außerdem, in Ostdeutschland nicht auf die Gewerbe- und Vermögensteuer zu verzichten.

Die vom Bundestag beschlossene Verschärfung der Rüstungsexportkontrolle scheiterte erwartungsgemäß an den vorgesehenen Telefon- und Brief-Überwachungsbefugnissen für das Zollkriminalinstitut.

Rüstungsexportnovelle abgelehnt

Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann (FDP) kündigte die Anrufung des Vermittlungsausschusses — diesmal durch die Bundesregierung — an. Bereits Anfang der Woche war das vom Bundesrat angestrengte Vermittlungsverfahren in dieser Sache gescheitert. Möllemann kritisierte, daß bei einer endgültigen Ablehnung wichtige Elemente des Gesetzes wie eine Gefängnisstrafe bis zu 15 Jahren in schwerwiegenden Fällen oder die volle Abschöpfung der Gewinne aus illegalen Rüstungsexporten auf der Strecke bleiben würden. Die SPD-Mehrheit hingegen will verhindern, daß das Zollkriminalinstitut „als Art vierter Geheimdienst“ bei Verdacht auf illegale Ausfuhren Telefone abhören und Briefe öffnen dürfe. Der baden- württembergische Justizminister Eyrich verwahrte sich gegen den von der SPD erhobenen „Verdacht“, die Bundesregierung habe mit ihrer „Starrheit“ im Vermittlungsausschuß geplant, „das Gesetz von vornherein scheitern zu lassen“.

Finanzminister Waigel reagierte noch während der abschließenden Beratungsrunde des ersten gesamtdeutschen Haushalts auf das Bundesratsveto gegen das Steuererhöhungspaket: Neben der Verunsicherung der Investoren bedeute es erhebliche praktische Schwierigkeiten bei Verwaltung, Steuerpflichtigen und Arbeitgebern. Er verteidigte zugleich seinen von den Sozialdemokraten weiterhin scharf kritisierten Etat, den der Bundestag mit den Stimmen der Regierungskoalition annahm.

Bundestag verabschiedet Haushalt

Der erste gesamtdeutsche Etat in Höhe von 410,3 Milliarden Mark sieht eine Rekordverschuldung von 66,4 Milliarden Mark vor. Mehr als 90 Milliarden Mark der vorgesehenen Ausgaben sind durch die deutsche Vereinigung bedingt. Waigel kündigte bei der Verabschiedung weitere staatliche Unterstützung für Länder und Gemeinden in Ost- und Westdeutschland an.

Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Rudi Walther (SPD), kritisierte, der Etat biete kein neues Konzept für Gesamtdeutschland. Einsparmöglichkeiten, wie im Rüstungshaushalt, seien nicht genutzt worden. SPD-Fraktionschef Hans- Jochen Vogel erklärte, die SPD halte weitere Steuererhöhungen für die Zukunft keineswegs für ausgeschlossen. Sie müßten aber sozial gerecht sein.

Einen EG-einheitlichen Mehrwertsteuersatz von 15 Prozent ab 1.Januar 93 wollte die SPD dann auch nicht mittragen. Die Koalitionsmehrheit hingegen gab „grünes Licht“ und ermöglichte der Bundesregierung damit, auf der Tagung der Wirtschafts- und Finanzminister der Europäischen Gemeinschaft am Montag einem entsprechenden Kompromiß zuzustimmen. Der Beschluß bedeutet eine Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes um einen Prozentpunkt.

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