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Die Grünen denken nur westdeutsch

■ Die Bundesversammlung der Grünen entschied gegen Berlin als Regierungssitz/ Interview mit Bernd Köppl, Oberrealo und Abgeordneter von Bündnis 90/Grüne zum Kölner Beschluß

taz: Mit einer Mehrheit von 60 Prozent haben sich gestern die Grünen auf der Bundesversammlung in Köln gegen einen Regierungssitz Berlin entschieden. Wie finden Sie das?

Köppl: Ich finde diesen Beschluß grundverkehrt. Es zeigt zweierlei: Zum einen, daß die Grünen immer noch eine reine Westdeutschland- Partei sind. In einer gesamtdeutschen Partei wäre dieser Beschluß unmöglich. Es zeigt, daß die Grünen sich noch nicht mit der Bürgerrechtsbewegung der ehemaligen DDR zusammengeschlossen haben, daß sie mit den neuen Problemen nicht vertraut sind. Zweitens: Was für Kanzler Kohl gilt, nämlich daß er nur in Konfrontation mit den tatsächlichen Problemen der Wiedervereinigung begreifen wird, worum es jetzt geht, gilt auch für die Grünen. Die Regierung und das Parlament können die Wiedervereinigung nur von Berlin aus vernünftig gestalten.

Warum haben sich die Grünen gegen Berlin entschieden?

Berlin hat in der Auseinandersetzung um die Übernahme des Regierungssitzes sehr große Fehler gemacht. Der Senat ist arrogant und ohne Rücksichtnahme auf die psychischen Probleme der westdeutschen Bevölkerung mit der alten Sponti-Parole »Wir wollen alles« aufgetreten: Wir wollen Hauptstadt und Regierungssitz werden, wollen die historisch überholte Wirtschaftsförderung in Milliardenhöhe nicht aufgeben. Wir wollen weiter einen milliardenschweren Zuschuß zum öffentlichen Haushalt und wir wollen Olympia. Immer nur: wir wollen, wir wollen, wir wollen. Diese Rolle kann das dörfliche Bonn nie spielen und wird so für die westdeutsche Bevölkerung immer sympathischer.

Welche Fehler hätte Berlin vermeiden sollen, um für die Grünen sympathischer zu sein?

Berlin hätte eigene Vorschläge machen sollen, wie es als Hauptstadt- und Regierungssitz eine bescheidenere Rolle im neuen Deutschland spielen will. Dazu hätte gehört, daß die Stadt Vorschläge vorlegt, wie sie sich einen finanziellen und ökonomischen Ausgleich mit Bonn vorstellt. Und Berlin hätte auf die Olympia- Bewerbung zugunsten einer anderen Region verzichten müssen.

Lieben die Grünen die Provinz?

Die Grünen stehen auch der Idee der Metropolen sehr mißtrauisch gegenüber und unterstützen politisch sehr stark das Prinzip der Regionalisierung. Das muß auch ein Grund gewesen sein, warum Bonn in dieses Konzept besser hineinpaßt als das verrückte Berlin. Interview: Anita Kugler

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