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Aus einem Rockerleben

■ »The Wonderbeats« — der Film und die zugehörige Band in der Ufa-Fabrik

Wenn man im Sommer 1991 über das nordelbische Land fährt oder in Richtung Lüneburger Heide, dann sehen die Bauern, die Kühe, die Schweine und die Häuser aus wie in den Sixties. Die Bauern tragen ihr Haar üppig zu Koteletten an den Seiten auswachsend und die Kühe sind schwarzbunt. Die einen werden geschlachtet, die anderen können sich als Popstars versuchen, einige Playbackminuten lang bei einer »Karaoke«-Party in einem einschlägigen Club auf der Reeperbahn. Das Repertoire aus der Musikbox reicht dabei von den Beatles zu Kylie Minogue und wieder zurück und dreht sich wie die Discokugel im Kreis. Auch in Wirklichkeit hat sich nichts verändert. Gerade dies zeitlos immer wiederkehrende Gleiche, das Dauerdepressivum des Nordens, legt sich auf die Filmbilder in Claude Oliver Rupolphs Erstlingswerk. Dabei will der Film doch eigentlich nur das positive Gedankengut der Neunziger mit dem wilden Rock'n'Roll der Sechziger verbinden.

Die Fieberkurve des swingin' Hamburg begann mit den Fab Four, als sie aus Liverpool an die Elbe kamen, im Star-Club spielten und Astrid Kirchherr ihnen die legendären »Pilzköpfe« verpaßte. Dann verschwanden sie wieder, machten von England aus eine Weltkarriere und hinterließen neben unehelichen Kindern und einsamen Fräuleins der Hansestadt den Mythos des beatmusizierenden Jugendlichen. Den rekonstruiert Rudolph mit seinem Low-Budget-Film in Schwarzweiß wie ein Fan der ersten Stunde, weit entfernt vom Blick des sich verjüngenden Soziologen (ein Blick, mit dem die Vorjahresproduktion »Hard Days, Hard Nights« die Jugendkultur eher auszulöschen droht).

The Wonderbeats — Kings of Beat erzählt die Geschichte einer Beatband aus dem Hamburger Umland, die zwischen 1962 und 1967 vom Übungskeller in die Charts ganz nach oben steigen konnte, 1967 an Popularität die »Lords« und das »Medium- Terzett« überbot, bis dann Bandleader Achim per Einberufung die Karriere zum Knicken brachte. So soll es damals den »Rattles« ergangen sein. Daß es sich so verhalten haben muß, redet man sich beim Zuschauen häufig ein, denn zunehmend versteigt sich die halbdokumentarische filmische Würdigung in die bizarre Welt einer Freakshow. Noch passabel beginnt der Aufstieg der vier Jungs vom Land in die Welt des Showbiz. Der Manager ist ein gewiefter Betrüger, doch er versteht es, aus den untalentiert vor sich hin lärmenden Bauerntölpeln aus Maschen eine Szeneband zu zimmern. Es folgt der übliche Werdegang mit Konzerten in drittklassigen Clubs, mit viel Schnaps am Abend, einem Kater am Morgen und den Groupies zwischendurch. Alles klischeecht aus dem Rocker-Alltag gegriffen, Udo Lindenberg könnte es nicht besser erzählen. Doch langsam mischen sich seltsame Bilder unter das Mythisch-Alltägliche der Traumkarriere.

Ein homosexueller Psychedeliker bewegt sich ausdruckstänzerisch, während er dazu Texte über Wüsten und Legionäre schwärmend rezitiert. Jean Genet wird zur Morgenlektüre, Rudi Dutschke zum Jesus Christus auf St. Pauli. Um die Ecke ist immer noch die legendäre Ritze, dort wo man Puff und Boxring in liebevoller Eintracht findet. Der Film schiebt dies alles auf skurille Art zusammen, nur passen will es nicht. Der Pit-Bull an der Leine eines Luden grüßt aus dem Hier und Jetzt, die Schlaghosen des Bassisten hätte zur Zeit von Sgt. Pepper höchstens George Harrison getragen, genausowenig wie ein Regencape zur Tanzschuppen-Kleiderordnung gehörte. Das ist alles so schön bunt, wie es das grobgekörnte Schwarzweißmaterial zuläßt. Was im Film jedoch pop und hip sein will, entpuppt sich als Stile durcheinanderwirbelnde Melange. In Horrorfilmen nennt man so etwas Trash und vergnügt sich daran, nach einem ins Bild hängende Mikrofon zu spähen. Bei Claude Oliver Rudolph findet man keines, dafür dreht er zu präzise. Nur in einer Restaurantszene linst irgendein Assistent mit Baseballmütze um die Ecke. Das ist dann wohl der Blick von heute auf die Welt von einst. Es macht Spaß, dem Zusammentreffen zuzuschauen.

Einen schärferen Beigeschmack als das muntere Zitatechaos hinterläßt hingegen ein gewisses locker- sexistisches Frauenbild, für das die Musiker von damals heute nicht mehr einstehen würden: Flachlegen lautete die Devise, ohne viel Federlesen. Im Auto oder auf dem Tresen, auch wenn die Bilder dabei mehr nach Faßbinder oder Warhol sind. Eine Stimme im Autoradio kommentiert die Kopulation mit liebevollen Betrachtungen zur Schweinezucht.

So bleiben am Ende gemischte Gefühle, einige wenige Bilder und eine ganze Menge netter Beatmusik im Kopf. Die ist extra für den Film komponiert worden, ganz im Sinne der Sixties. Ein Hit ist schon vorprogrammiert: Young and Old, ein Song über die Zeit, als man noch Kraft hatte. Damit werden die »Wonderbeats«, eine Mischung aus Film-Darstellern und »Rattles«-Zeitgenossen, am heutigen Abend in der Ufa-Fabrik sogar live aufspielen. Ohne Playback in die Sixties und wieder zurück. Harald Fricke

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