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Vom Regen in die Traufe

■ Der 20jährige Jim Courier aus Dade City/Florida gewann gegen den favorisierten Andre Agassi das Finale der „Internationalen Tennismeisterschaften von Frankreich“ mit 3:6, 6:4, 2:6, 6:1, 6:4

Paris (dpa/taz) — „Ich bin noch völlig verrückt im Kopf und nicht in der Lage, Erklärungen abzugeben“, schätzte Jim Courier nach seinem Sieg im Finale der French Open gegen Andre Agassi seinen Seelenzustand ein, um nichtsdestotrotz wenig später munter draufloszuplaudern und über die Korrelation zwischen Sieg und Glück, Niederlage und Unglück zu philosophieren. „Ich hatte schon viele glückliche Momente in meinem Leben, doch dies ist der glücklichste“, stellte er fest und versuchte gleichzeitig, den unterlegenen Kontrahenten zu trösten: „Verlieren ist schlimm, aber nicht das Schlimmste.“ Dies sah Agassi ganz anders. „Das ist der unglücklichste Moment in meiner Karriere“, jammerte der 21jährige aus Las Vegas, „meine pessimistische Seite wird mich immer daran erinnern.“ Gründe für die Niederlage fielen ihm keine ein. „Solche Dinge passieren einfach. Ich wünschte, ich wüßte warum“, beschied er neugierige Frager und fügte dann flugs ganz im Sinne Couriers hinzu: „Ich finde jetzt nicht die richtigen Worte.“

Dabei begann vor 16.500 Zuschauern auf dem Center Court, die fast vollzählig hinter dem beliebten Agassi standen, alles nach Plan. Er startete furios und übernahm von Beginn an die Initiative. Mit seinen kraftvollen Schlägen zwang er Courier ständig in die Defensive. Der Mann mit der Schirmmütze — die er keineswegs trägt, weil er eine Kopfgrippe befürchtet, sondern als „Talisman“ — kam nur selten dazu, seinen gefürchteten „Baseball- Schlag“ mit der Vorhand anzuwenden. Doch beim Stand von 6:3, 3:1 wurde Agassis Siegeszug vom Regen gestoppt.

Zwei Unterbrechungen im zweiten Satz nutzte Courier, sich mit seinem Coach José Higueras, der vor zwei Jahren schon Michael Chang zum Sieg in Paris geführt hatte, zu beraten und seine Spielweise umzustellen. „Higueras hat mich in den Pausen aufgebaut und mir die richtige Taktik auf den Weg gegeben. José ist ein Teufelskerl. Ihm gilt mein Dank“, sagte Courier später, und Agassi ergänzte: „Nach der Pause wechselte Jim die Strategie und nagelte mich an der Grundlinie fest.“

Der 20jährige Courier, der noch nie ein Endspiel verlor (er gewann bislang die Turniere von Indian Wells und Key Biscayne), fand plötzlich wieder den Weg zurück ins Match und konnte die Partie völlig offen gestalten. Der entscheidende Durchgang — zum 14. Mal wurde ein Finale der French Open erst im fünften Satz entschieden — war im Gegensatz zu den vorangegangenen Sätzen an Dramatik kaum zu überbieten.

Courier schaffte das erste Break zum 4:3, Agassi konterte postwendend zum 4:4, verlor dann aber sein Service erneut zum 4:5. Der Favorit war müde und ausgelaugt wie ein angeschlagener Boxer. Den K.o. erhielt er vom konditionell besseren Courier im darauffolgenden Spiel. Courier verwandelte den ersten Matchball mit einem As und ließ sich — außer sich vor Freude — einfach rückwärts in den roten Sand fallen. Durch den Pariser Triumph katapultierte sich Jim Courier in der Weltrangliste an Agassi vorbei auf den vierten Platz hinter Edberg, Becker und Lendl, während Halbfinalist Michael Stich mit dem neunten Rang vorlieb nehmen muß.

Andre Agassi hingegen hat offenbar in den wichtigsten Momenten seiner Sportlerlaufbahn seine Nerven nicht im Griff und nicht das notwendige Durchstehvermögen. Nach den Endspielniederlagen im Vorjahr in Paris gegen den Ecuadorianer Andres Gomez und bei den US Open gegen seinen Landsmann Pete Sampras wurde Agassi auch im dritten Anlauf als Finalist eines Grand Slam-Turniers seiner Favoritenrolle nicht gerecht.

Das nächste Mal darf er es in Wimbledon, wo er diesmal starten will, probieren. Um nicht mit der strengen Londoner Kleiderordnung in Konflikt zu geraten, hat er sich für diese Gelegenheit extra ein vorwiegend in weiß gehaltenes Dreß entwerfen lassen. In Wimbledon wird er nicht nur Jim Courier und die anderen Konkurrenten von Roland Garros wiedertreffen, sondern auch Ivan Lendl, der sich — same procedure as every year — endlich seinen größten Traum erfüllen will. Zur Einstimmung gewann er schon mal mit 3:6, 7:6, 7:6 gegen den Australier Pat Cash das Rasenturnier im britischen Beckenham.

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