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Bald tote Hose?

Adolf Muschgs „Nacht im Schwan“ in Zürich uraufgeführt  ■ Von Gerhard Mack

Das Zürcher Schauspielhaus ist derzeit arg gebeutelt, sein Intendant Achim Benning kämpft ums künstlerische Überleben der Pfauenbühne. Zugesagte Subventionserhöhungen wurden vom Stadtrat nicht realisiert. Jetzt ist der Verwaltungsrat seit geraumer Zeit bemüht, das künstlerische Profil des eigenen Hauses zu demontieren. Da Benning sich den Ansprüchen seines Konzepts verpflichtet weiß, hat er um vorzeitige Auflösung seines bis 1995 geltenden Vertrages gebeten. In einer Sitzung am vergangenen Montag hatte der Vewaltungsrat die Entscheidung über die Annahme der Demission auf den 12. Juni vertagt. Während die Kräfte solchermaßen aufs Äußerste gespannt sind, bringt das Haus seit Monaten eine Reihe von Uraufführungen zur Premiere.

Der Keller des Schauspielhauses konnte nur mit der Finanzspritze einer Großbank am Leben erhalten werden. Wenn der Vorhang den Blick auf seine Bühne freigibt, sehen die Zuschauer in eine Kneipe. Das dort ist hier, die droben sind wir, und doch nicht so ganz. Die Wände sind nicht schwarz, sondern mit dunklen Schlachtbildern bemalt, die Frau im grünen Samtrock und die Männer in Pantalons und breiten Tuchkrawatten entstammen dem 19. Jahrhundert. Auf der breiten schmalen Bühne sind sie so ausgestellt wie im Panoptikum; wenn einer redet, hören alle mit, private Gesten unterhalten die Neugierde am besten.

Die Szene aus dem letzten Jahrhundert spielt in der Schweiz. Emigranten, satte Geldbürger, Asylanten und Durchreisende, zumeist historisch verbürgt, wenn vom Autor auch zum Teil verzeichnet, treffen aufeinander. Emma und Georg Herwegh haben in den Zürcher „Schwan“ geladen, um den nach Italien durchreisenden Ferdinand Lassalle zu feiern. Gekommen sind einstweilen vier Großunternehmer und Regierungsräte der Stadt aus dem Umkreis Alfred Eschers, der designierte Staatsschreiber Gottfried Keller, der Garibaldi-Oberst Rüstow. Da Lassalle auf sich warten läßt, rauchen die Räte Zigarillos, trinken Champagner und sticheln. Lassalles italienische Revolution könnte auch eine private Syphilis sein, Herweghs Freiheitslyrik von 1848 war erfolglos, und der in seiner Ecke schweigende Gottfried Keller läßt sich leicht demütigen, seit er von ihnen ins öffentliche Amt gehievt worden ist. Bevor es zu langweilig wird, baut sich Lassalle einen großen Auftritt; zuerst schickt er Austern, dann vier Frauen, schließlich kommt er selbst.

Lassalle will von den Zürchern Geld für ein italienisches Freikorps und setzt dazu alles in Bewegung. Herwegh soll ein Lied schreiben, Rüstow in Italien kämpfen, die Gräfin von Hatzfeld-Trachenberg die Zürcher Bürger beschwatzen. Er füttert Austern, befiehlt und arrangiert, läuft ständig auf Granit und darf die Risse nicht zeigen. Er ist ein Damenmann und Dompteur, der alle in seinen Strudel reißt, auch wenn ihm „die Löwen davonlaufen“. Mit zunehmendem Alkohol gerät das gesellschaftliche Schaulaufen zum Showdown. Die Akteure suchen und bekämpfen einander, verletzen und lieben sich, machen Konversation und fallen ins Leere. Die politischen Haltungen verkommen zu einem Psychospiel, das auch die selbstgefälligen Zürcher Räte als Opfer zurückläßt. Keller ist der Stachel in der Peinlichkeit der Entblößungen und Selbstdarstellungen; er sitzt am linken Bühnenrand, trinkt seinen Rotwein und schweigt, bis er den „Gauner“ Lassalle mit einem Stuhl zur Ruhe bringen will.

„Es passiert nichts“, sagt die Gräfin, „die Zeit steht still. Wir zappeln nur noch ein wenig, jeder in seinem Spinnennetz.“ Muschg hat die enttäuschten revolutionären Hoffnungen, die zynische Selbstgefälligkeit der Profitdemokraten und die Gier nach Veränderungen schon einmal aufeinandertreffen lassen. Kellers Abend, 1975 von Werner Düggelin am Theater Basel uraufgeführt, zeigt die Szene aus der Zeit zwischen der Revolutionswelle 1848, den bevorstehenden nationalistischen Einigungskämpfen und den Arbeiterbewegungen in einer ersten Fassung. Während damals das Außenseiterschicksal des ein- und ruhiggekauften Gottfried Keller im Vordergrund stand, liegt der Schwerpunkt jetzt auf der Darstellung der erstarrten Haltungen und Verkehrsformen der Gesellschaft.

Muschg wollte „heilsame Schrecken des Wiedererkennens“ auslösen und „die eigene Geschichtlichkeit“ erfahrbar werden lassen. Wenn die Zürcher Inszenierung trotz feinster Ziselierarbeiten diese Wirkung im ganzen nicht hat, so liegt das möglichkerweise daran, daß Peter Borchardt und das Ensemble die Hinweise des Autors zu sehr beherzigt haben. Der leicht überhöhte Naturalismus von Ausstattung und Spiel schlägt um in eine Abfolge toter Bilder. Auf eine dritte Variation dieser Nacht kann man getrost verzichten, auf einen Theatermann wie Benning nicht.

Adolf Muschg: Nacht im Schwan. Regie: Peter Borchardt. Bühne: Brigitte Friesz. Mit Siegmund Tischendorf, Peter Bollag, Peter Brogle, Anne-Marie Dermon. Schauspielhaus Zürich. Nächste Aufführungen: 11.-14.6.

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