: Stereotypen im deutsch-polnischen Umgang
Polen fürchten Ausverkauf durch die reichen Deutschen/ Industrie sieht weiter Investitionshemmnisse/ Tagung in Bonn zeigt gegenseitige Ressentiments ■ Aus Bonn Joachim Weidemann
„Frankreich ist weit, Deutschland grenzt an Polen — da liegt der Unterschied.“ Für die polnische Journalistin Borzena Kronczal aus Wroclaw bleibt es sich nicht gleich, wer künftig die polnischen Unternehmen kontrolliert. Daß im Nachbarland jenseits der Oder-Neiße-Grenze die Furcht vor einem Ausverkauf an die reichen Deutschen umgeht, davon weiß nicht nur sie zu berichten. Gerne hätte das gute Dutzend polnischer RedakteurInnen die Meinung ihrer deutschen KollegInnen zu gegenseitigen Vorurteilen, Stereotypen und dem Ostwärts-Streben der deutschen Wirtschaft gehört. Doch die gewünschten Gesprächspartner am von dem Bonner Stresemann-Institut vorletzte Woche veranstalteten Seminar blieben aus — und bestätigten so das oft zitierte Desinteresse am Dialog mit Polen.
Dafür wußte Andreas Lücke, Geschäftsführer des Arbeitskreises Polen beim Ostausschuß der deutschen Wirtschaft (BDI) die Diskussionsrunde geschickt als Werbeforum für Investoren der bundesdeutschen Industrie zu nutzen. Lücke vertritt „200 Firmen mit Polen-Know- how“. Gleich zu Beginn belehrte er die polnischen Gäste, daß nicht das „Großkapital“ die Bundesrepublik beherrsche, sondern die kleine und mittelständische Industrie. Dennoch zeigte Lücke durchaus Verständnis für die polnischen Ängste vorm Ausverkauf an deutsche Großkonzerne. Doch bei der Internationalisierung der Wirtschaft sei ein solches Denken absurd. Denn: Die deutsche Industrie gehöre zum Teil auch den Amerikanern; die wiederum „zur Hälfte“ Japan. Damit müsse sich Polen abfinden. „Ob Sie nun ein französisches Unternehmen kontrolliert oder ein deutsches — das bleibt sich doch letzten Endes gleich“, so Lücke zu den JournalistInnen.
Doch der Osten ist von einem Ausverkauf noch weit entfernt: 1990 bewegten sich die deutschen Direktinvestitionen (ohne Kapitaltransfer) in Osteuropa bei 0,15 Milliarden D-Mark — das ist ein halbes Prozent des Gesamtvolumens deutscher Auslandsinvestitionen. Da könne man nicht sagen, so Lücke, „daß wir Osteuropa penetrieren“. Immerhin: Der Großteil des Kleckerbetrages tröpfelte auf Polen und die CSFR, die laut Lücke in einer „erheblichen Rivalität“ zueinander stehen. Denn beide Länder gelten im BDI neben Ungarn als die aussichtsreichsten östlichen Kandidaten im Investitionspoker. Die UdSSR ist derzeit wegen der unsicheren politischen und ökonomischen Lage wenig attraktiv. Lücke gibt zu, „daß sich deutsche Firmen nicht gerade um den Osten reißen“. Ende letzten Jahres existierten rund 2.700 Joint ventures in Polen, davon 980 mit deutscher Beteiligung. Die Investitionen blieben allerdings gering. Nur die Beteiligung des Baukonzerns „Hochtief“ am Ausbau des Warschauer Flughafens und das Siemens-Engagement bei der Telekommunikation ragen heraus. Nach Ansicht des BDI sind die Reformpakete Polens und der CSFR noch immer zu eng geschnürt. Bisher könnten die beiden Länder dem Westen nicht entlocken, was sie dringend brauchen: Transfer von Technologie und Know-how, Aufbau von Marketing und Management — und Partner zum Einstieg in den Westmarkt. Auf dieser Basis kämen Polens Aktiva als Industriestandort besser zum Tragen: billige Arbeitskräfte, vor allem im Handwerk; eine „exzellente polnische Ingenieurs- Tradition“; hochgradig ausgebildete Experten aus der umgewandelten Rüstungsindustrie. Zwar vermißt Lücke in Polen kleine und mittelständische Industrieunternehmen und einen entsprechend starken Arbeitgeberverband, der der Gewerkschaft Solidarność bei Tarifverhandlungen Paroli bieten könnte. Der Polen-Experte setzt jedoch einige Hoffnungen in den Dienstleistungssektor, der sich schnell aufbauen lasse und Arbeitsplätze schaffe. Hauptmanko aber scheint die bisherige Regelung über den Verkauf von Immobilien, Grund und Boden zu bleiben. Daß Ausländer davon nahezu ausgeschlossen sind, schrecke nicht nur deutsche Investoren ab. Außerdem müßte die Entscheidungsbefugnis über Immobilien von der Zentrale in die Hände der jeweiligen Kommunen verlagert werden.
Das Mißtrauen der Polen gegenüber den Deutschen sitzt tief. Dort halte sich noch immer der Glaube, die Deutschen würden die polnische Industrie ausspionieren, berichtete 'Trybuna‘-Redakteur Piotr Gadzinowsik. Der Historiker Georg Strobel, einer der Wegbereiter des Warschauer Vertrags, bemängelte, „daß nicht genügend über solche Stereotypen gesprochen“ werde. Im Westen herrsche „ein Überheblichkeitsbewußtsein“ gegenüber den Ost-Ländern. Polen dagegen habe seine Rolle in der Welt nach seiner Teilung Anfang des 19. Jahrhunderts mit einem Glorienschein des Martyriums umhüllt: das Ringen um Unabhängigkeit wurde Symbol des gesamten Freiheitskampfes in Europa. Folglich seien polnische Vergehen an anderen Völkern — etwa beim Schwarzen-Aufstand auf Santo Domingo — aus den Geschichtsbüchern herausgelassen worden. Ferner werde oft vernachlässigt, so Strobel, daß deutsch-polnischer Unbill nicht immer auf Nationalismen, sondern auch auf den Kirchenkampf zurückgingen, an dem deutsche wie polnische Katholiken gleichermaßen beteiligt waren. Polens KommunistInnen schlugen daraus ideologisches Kapital: Der Deutschenhaß wurde instrumentalisiert. Strobel erinnerte an einen Aufruf des früheren KP- Chefs Wladislaw Gomulka, der die Einigung der Polen „zur Volksfront aus dem Bewußtsein der Gefahr aus Deutschland“ heraufbeschwören ließ. Seit dieser Zeit haften den Deutschen Etikette wie „Revanchismus“ und „Revisionismus“ an.
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