: Beethovens Schüler
■ Der chilenische Pianist Claudio Arrau ist tot
Berlin (taz) — „Wie steht es um Ihre Gesundheit?“ fragte noch letzte Woche der 'Nouvel Observateur‘ im letzten großen Interview mit dem Pianisten. „Oh das! Ausgezeichnet! Ja!“ antwortete Arrau. Claudio Arrau, einer der aktivsten Pianisten des Jahrhunderts, kam aus einer gesunden Familie. Seine Großmutter war mit 120 Jahren gestorben, seine Mutter mit 104, seine Schwester mit 96, er selbst brachte es immerhin auf 88. Das Konzert, das er am Samstag im österreichischen Mürzzuschlag anläßlich der Wiedereröffnung des Brahms-Museums hatte geben wollen, war das erste, das er aus gesundheitlichen Gründen absagen mußte. In Mürzzuschlag starb er am Sonntag an den Komplikationen nach einer Darmoperation. Wenige Wochen nach Wilhelm Kempf, nicht lange nach Horowitz und Rubinstein, hat die Klavierwelt damit wohl den letzten der ganz alten ganz großen Pianisten verloren, einen von denen, die aus dem 19. bis fast ins 21. Jahrhundert ragten.
Geboren wurde Arrau 1903 in Chile, aber schon mit zehn Jahren erhielt er ein Stipendium, um nach Berlin, ans berühmte Sternsche Konservatorium zu gehen. Berlin blieb seine Wahlheimat bis zum Anfang des Zweiten Weltkriegs, 1939 ging er nach New York.
Arrau hatte noch eine dieser beeindruckenden Pianisten-Genealogien: Gelernt hat er in Berlin bei Martin Krause, dem letzten Schüler von Franz Liszt. Liszt selbst hatte bei Czerny gelernt, Czerny bei Beethoven. Krause attestierte seinem Schüler ein „natürliches Talent“. Er nutzte es in klang- und kraftvollen Interpretationen des durch diese Tradition vorgegebenen Repertoires: Beethoven, Schumann, Chopin, Liszt, Brahms, aus früheren Epochen Bach, aus späteren Schönberg. „Ich war der erste, der Schönberg im Konzert gespielt hat“, sagt Arrau, „die Neuheit seiner Klangwelt hat mich immer begeistert.“ Sein Vorbild war die heute vergessene Teresa Carreno: „die größte Pianistin, die ich je gehört habe, ein erhabener Klang, eine unglaubliche Kraft...“
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