Teilmitgliedschaften für EG-Neulinge

Außenhandelskommissar Andriessen bietet Mittelosteuropäern und Skandinaviern Zwischenlösung an  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Eine EG mit bald 22 oder gar 24 Mitgliedern? Der für Außenwirtschaft zuständige EG-Kommissar, Frans Andriessen, hält dies für eine durchaus realistische Perspektive. Während einer Stippvisite in Prag wiederholte er gestern seinen Vorschlag, den osteuropäischen Reformländern Polen, Ungarn, Tschechoslowakei, aber auch den anderen potentiellen Beitrittskandidaten Österreich, Schweden und anderen eine „Teilmitgliedschaft“ anzubieten. Bisher kennen die Eurokraten nur „draußen“ oder „drinnen“, die volle Mitgliedschaft einerseits und andererseits Formen der Assoziierung, die eine Mitsprache im Entscheidungsprozeß der Gemeinschaft ausschließen. Die Situation der osteuropäischen Länder erfordere jedoch „kreatives Denken“, so der niederländische Kommissar. Zu den Bereichen voller Mitgliedschaft zählt Andriessen die politische Zusammenarbeit, die Außen- und Währungspolitik, aber auch die Teilnahme an den Verkehrs-, Umwelt- und Wissenschaftsministerräten. Andere Bereiche wie die Agrarpolitik will er dagegen für eine Übergangszeit aussparen. Eine Teilmitgliedschaft habe den Vorteil, so der Kommissar, daß sich die „Neuen“ je nach ihren Möglichkeiten und ihrem Entwicklungsstand in die Europäische Gemeinschaft einfügen könnten.

Gleichzeitig könne die EG so den Ostlern nicht nur Wirtschaftshilfe im Rahmen des milliardenschweren Phare-Programms, sondern „auch die Vorteile der Gemeinschaft einschließlich größerer Stabilität anbieten, ohne den eigenen Schwung in Richtung politischer Integration zu schwächen“. Denn obwohl in den römischen Gründungsverträgen der EG die Vereinigung aller europäischen Staaten zum Ziel erhoben wurde, hat sich in den letzten Jahren das Dogma eingeschlichen: „Erst die Gemeinschaft vertiefen, nach 1993 kann dann auch eine Erweiterung in Betracht kommen“. Die Binnenmarktstrategen fürchten um den wirtschaftlichen und politischen Integrationsprozeß der EG. Dieser Gegensatz ließe sich mit seinem Konzept überbrücken, so Andriessen.

Kritiker behaupten jedoch, der Vorschlag sei nicht ganz uneigennützig. Schließlich bereite sich die niederländische Regierung darauf vor, die frühere Rolle Margaret Thatchers als Bremserin der gemeinschaftlichen Integration zu übernehmen. Die ehemalige britische Premierministerin war aus diesem Grund vehement für eine Ausweitung der EG in Richtung Osteuropa eingetreten. Die meisten Eurokraten tun sich jedoch noch schwer mit solch „revolutionären“ Perspektiven. Besonders die französische Regierung wehrt sich dagegen. Schließlich würde sich Deutschland durch eine Nord-, Ost- und Südosterweiterung der EG noch stärker zum Mittelpunkt der EG entwickeln.

Weil die mittelosteuropäischen Länder die Auswirkungen des sowjetischen Kollapses am deutlichsten spüren, kam Andriessen in Prag den Reformländern auch in einem anderen Punkt entgegen: Er will „Dreiecksbeziehungen zwischen den industrialisierten Ländern, den Staaten Mittelosteuropas und der Sowjetunion“ fördern. Mit der Westhilfe für die zerbröckelnde Supermacht könnten die Güter bezahlt werden, die die Sowjetunion noch zu besseren Zeiten bei ihren früheren Satellitenstaaten geordert hatte, die aber seitdem auf Halde liegen und vor sich hin rosten. Wie tief die westlichen Regierungschefs dazu in die Taschen ihrer Steuerzahler greifen wollen, wird sich auf dem Weltwirtschaftsgipfel Mitte Juli in London entscheiden, wo die Sowjetunionhilfe im Mittelpunkt steht.