: Schicksalswahlen in Indien
■ Diese Woche wählt die „größte Demokratie der Welt“ ein neues Parlament
Berlin (taz) — Wichtige Weichenstellungen für Indiens Zukunft werden von den Parlamentswahlen erwartet, die am 12. und 15.Juni abgehalten werden. Ursprünglich für die zweite Maihälfte geplant, war der Wahlgang nach dem Attentat auf Rajiv Gandhi verschoben worden. Die Wahlen waren nötig geworden, nachdem das indische Parlament der erst seit sieben Monaten amtierenden Minderheitsregierung von Chandra Shekhar das Vertrauen entzogen hatte.
Seit den letzten Wahlen vom Herbst 1989 hat Indien stabile politische Verhältnisse nicht mehr erlebt. Damals hatte Rajiv Gandhis Kongreßpartei ihre absolute Mehrheit verloren und war auf 196 der 545 Unterhaussitze geschrumpft. Gandhis Ex-Parteifreund V. P. Singh, der zusammen mit der Oppositionspartei „Janata Dal“ gegen den Kongreß angetreten war, bildete danach mit der Janata Dal eine Minderheitsregierung, die sowohl von der rechts-hinduistischen „Bharatiya Janata Party“ (BJP) wie auch den Kommunisten toleriert wurde. Doch nur ein Jahr später war diese fragile Konstruktion schon wieder zerbrochen. V. P. Singh trat zurück, der Altsozialist Chandra Shekhar übernahm die Macht — mit nur einer Handvoll eigener Abgeordneter, doch unter Duldung des Kongresses. Von vornherein war abzusehen, daß der Kongreß Chandra Shekhar wieder fallenlassen und vorgezogene Wahlen herbeiführen würde, sobald er sich wieder im politischen Aufwind sah — und im Frühjahr trat dies auch ein.
Die Kongreßpartei erhofft sich nun einen Sympathiebonus nach der Ermordung ihres Führers Rajiv Gandhi. Doch auch die BJP mit derzeit 85 Parlamentssitzen, die einen kompromißlosen Hindu-Chauvinismus predigt, erhofft sich große Gewinne und möglicherweise sogar die Mehrheit. Die anderen Gruppen — Janata Dal, die verschiedenen kommunistischen Parteien und eine Reihe regionaler Organisationen, unabhängiger Kandidaten und Splitterparteien — können kaum auf einen großen Durchbruch hoffen.
So wählt Indien diese Woche zwischen dem Kongreß, der das Land jahrzehntelang regierte, jedoch nach dem Ende der Nehru-Gandhi-Dynastie ziemlich führungslos dasteht, und einer radikalen BJP, welche den multikulturellen und multireligiösen Charakter Indiens ablehnt. D.J.
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