Wehret den Fußgängerzonen-Anfängen

■ Ein Plädoyer für das Auto im Ostertorsteinweg

Die Öko-Puristen aller Fraktionen haben gesprochen — dem Moloch Auto soll auf der Flaniermeile des Viertels der Garaus gemacht werden. Über den verkehrspolitischen Sinn will ich nicht streiten, umweltverträglich wird das Ganze bestimmt sein — nur sozialverträglich überhaupt nicht. Aus zwei Gründen:

1. Die Vertreibung der Autos aus dem O-Weg ist ein Diktat des kleinstädtischen Bildungsbürgertums gegen jenes Milieu, das zur Inszenierung seines Lebensstils auch die automobilen Attribute der Großstadt rechnet. Lärm, Betriebsamkeit, Mobilität und Autoflanieren also nicht nur während des Toskana-Urlaubs auf einer abgasgeschwängerten Piazza goutiert, sondern eben jenes Lebensgefühl auch in Bremen kultiviert. Wer den Autoverkehr dort reduziert, wo er als Durchgangskarawane alle anderen sozialen Funktionen des Straßenraumes unterdrückt — der kann sich ungeteilten Beifalls sicher sein. Aber genau das ist im O-Weg nicht der Fall. Hier trägt der Autoverkehr auch zur sozialen Bereicherung der Straße bei. Wer unter dem Deckmantel Ökologie demonstrativ den Lebensnerv des Viertels „stillegt“, führt mehr im Schilde. Es ist auch eine unausgesprochene Kriegserklärung derjenigen, die zwar die kulturellen Vorzüge der Großstadt schätzen, ansonsten aber die gepflegte Beschaulichkeit von Ganderkesee bevorzugen. Als fraktionenübergreifendes Mehrheits-Milieu verordnen sie uns jetzt „Gemütlichkeit“.

2. Das Ostertor-Viertel hat mit einiger zeitlicher Verzögerung das Schicksal anderer großstädtischer innenstadtnaher Altbauquartiere nachvollzogen. Zuerst von den Alternativen sozial aufgewertet, hat es nach und nach immer mehr Gutverdienende und ihre Läden angelockt. Eine Vertreibungspolitik setzte ein, die aber längst noch nicht so weit fortgeschritten ist wie in anderen urbanen Zentren. Und gerade der Ostertorsteinweg ist sinnfälliges Beispiel dafür, daß in Bremen noch zusammenlebt, was woanders der inneren Spaltung der Großstädte zum Opfer gefallen ist. Hier verkehren Arme, Alte und Ausländer noch im selben Quartier, benutzen denselben Straßenraum wie Theaterleute und Bundesligafußballer. Diese soziale Mischstruktur macht das Flair des Viertels aus. Das Soziotop Ostertorsteinweg ist ein sensibles und fragiles Gefüge. Eines der begehrtesten Objekte unter Immobilienmaklern und Delikatessen-Geschäften. Wer nicht will, daß Gysi mit seinen 500 Marks-Schuhen zum Maßstab aller Preise wird; wer einem solch anachronistischen Kleinod wie dem Schreibwarengeschäft Hielscher, wo es noch die Kiloware gestempelte Briefmarken gibt, wenigstens eine kurze Zukunft gönnen will — der muß mit Eingriffen in die soziale Identität des O-Weges ganz vorsichtig sein, seine Attraktivität gezielt herunterhandeln. Die Vertreibung der Junkies und der Autos erhöht das Entwicklungstempo, in dem sich das Viertel verändert — zugunsten einer zahlungskräftigen Schicht samt ihrer Monokultur.

Wenn also die große Koalition der betuchten akademischen Mittelschicht im Beirat eine solche Maßnahme beschließt, dann ist das Politik gegen die Marginalisierten und Ausgegrenzten, gegen den urbanen Straßenraum und gegen die Lebensinszenierungen der städtischen Flaneure. Andreas Hoetzel