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Drinnen die Kunst — und draußen alles andere

■ »ein Gemälde, ein Bild« von Rainer Grodnick in der Galerie Ermer

Es wäre ein guter Einstieg in das Farbgeschehen Rainer Grodnicks, würde man vor dessen Leinwand wie C.D. Friedrichs Mönch am Meer stehen und hineinschauen und sehen, was geschieht. Allmählich würde man erkennen, wie der schwärzliche Anstrich ins Silbrig-Gräuliche changiert, bis er einer luftigen Erscheinung seidig-schwelender Schwaden gliche, und könnte sich mit staunend blöden Blick wie der Baudelaire'sche Fremdling sagen: »Ich liebe die Wolken... die Wolken, die vorüberziehen... dort... die wunderbaren Wolken.« Dann hätte man zumindest den Anfang gemacht, den Augen mehr zu trauen als dem Wissen, dem sinnlich-imaginativen Ereignis Vorrang gegenüber der faktischen Realität der Leinwand einzuräumen.

Je länger das Sehen dauert, desto gewisser wird die Vagheit optischer Informationen. Zwar ist die Leinwand flach und von Farbschichten wie mit einer Haut überzogen. Die Farbtextur ist gleichförmig, der Pinselduktus so anonym wie ein Wandstrich. Aber die Wirkung dieser faktischen Gegebenheiten folgt im Auge einer anderen Logik als in der Sprache. Diese Inkongruenz hat Grodnick zum Thema der Ausstellung gemacht. Das Gemalte ist kein Bild. Man kann es nicht beschreiben. Man kann nur die Herstellungsweise angeben und den Kontext umreißen, in die Leinwand gesetzt ist. Grodnicks Malerei ist also so beschaffen, daß sie den Betrachter an bestimmte Grenzen erinnert (der Sprache einerseits, andererseits dem Sehen und der Unmöglichkeit, beides zur Deckung zu bringen.). Dadurch gibt sie ihre eigenen Grenzen an. So hätte man zumindest den Rahmen, in dem die Leinwand gesehen werden will. Dafür eignet sich die Galerie Ermer besonders. Sie ist nicht größer als eine Klosterzelle. Und das Licht durch große Fenster gegenüber der Leinwand betrügt die Farbigkeit der Leinwand nicht.

Grodnicks Bildkonzeption basiert auf einer Raumidee, die der gängigen Arbeitsanweisung »Offenheit« nicht gehorcht. Er installierte ein geschlossenes System. Die Gesamtwirkung der monochromen Farbigkeit ergreift den Raum, und das Gemalte selbst wird räumlich. Die Farbschichten bewirken Dynamisierung: Der Anstrich schlägt um in Energie, wird beweglich und gewinnt dank einer stupenden Materialbeherrschung Volumen. Daraus ergibt sich das Bild im Raum. Man kann hineingehen, darin herumgehen. Es endet, wenn man die Galerie verlassen hat. Der Raum ergibt sich im Prozess des Sehens; er ist ein Modus der Zeit. Man kann ihn nicht haben. Man kann nur sehen, was geschieht. Dabei ist das Sichtbare weder Illusion noch Projektion. Es ist jederzeit auf die faktischen Gegebenheiten rückführbar.

Die Zeit des Sehens ist die Zeit des Bildes. Und hört das Sehen auf, verschwindet das Bild. Es ist nicht erinnerbar. In der Erinnerung ist das Gemalte nur eine geschwärzte zweiteilige Leinwand. Und wollte man es erinnern, so müßte man an etwas Ähnliches in der Wirkung denken, damit sich die Umgebung wieder einstellt.

Das Bild ist faktisch abwesend. Die hat Grodnick zu der didaktischen Maßnahme veranlaßt, im Büro der Galerie eine Notiz aus einem Museum aufzuhängen, worin mit Stempel und Unterschrift auf ein abwesendes Bild verwiesen wird. Vielleicht vertraute Grodnick seiner Bildkonzeption nicht ganz. Zwingend wäre dieser Hinweis nicht gewesen. Aber er scheint ein Maler großer Skrupel zu sein, dem Bild gegenüber so skeptisch wie ehrfürchtig: Sein vorläufiges Bild ist bis ins Letzte vertrauenswürdig.

»Kunst ist Kunst«, schreib Ad Reinhardt, »und alles andere ist alles andere«. In der Galerie Ermer gibt es Kunst zu sehen und in der Knesebeckstraße alles andere. Peter Herbstreuth

bis 23. Juni, Knesebeckstr. 97, 1-12, Di-Fr 16-19, Sa 13-17 Uhr

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