: Geometrie des Lichts
Modefotografien von Horst P. Horst in Paris ■ Von Gerhard Midding
In der Fotografie wird das Vorgefundene für gewöhnlich höher veranschlagt als das Vorgestellte. Und dennoch war immer etwas Verführerisches um die Modefotografie, welche artifizielle Kompositionen und die unschickliche Nähe zum Kommerz nie scheuen durfte: Viele der Großen — Steichen, Lartigue, Beaton, Penn und Avedon — haben sich in dieser Disziplin versucht, vielleicht auch, weil das Spiel der Mode und der Akt des Fotografierens einem verwandten Lebensrhythmus gehorchen: Beiden ist es gleichermaßen um das Beharren, Bewahren wie um das Feiern des kurzen, vorübergehenden Augenblicks zu tun.
Horst P. Horst kultivierte in dieser Disziplin eine bemerkenswerte Nonchalance. Zwar versäumte er es nie, weibliche Anmut und Eleganz zu zelebieren, dennoch scheint er den Grundgesetzen seines eigenen Stils mehr verpflichtet zu sein als den Interessen der Modeindustrie. Es ist erstaunlich, wie wenig er in seinen Fotos das Objekt sprechen läßt. Oft genug stellen seine Kompositionen das anzupreisende Produkt gar in den Schatten. Seine berühmte Rückenansicht eines Korsetts von Mainbocher (1939) beispielsweise verwickelt das diskrete Kleidungsstück in einen Dialog zwischen dem diagonalen, aufgefächerten Lichteinfall und dessen nuancierten Schattenwurf.
Nach Werkschauen in Venedig, Zürich, Bremen, Frankfurt und München hat nun die Metropole der Modewelt Horst P. Horst eine Ausstellung gewidmet. Im Musée des Arts de la Mode offenbart sich auf 120 Bromsilber- und Platinabzügen, zum Teil auf Papier, zum Teil auf Leinwand, der Stil eines Fotografen, der sich selten der Tyrannei der Schönheit oder auch einem bestimmten Geschmacksklima unterworfen hat.
Horst, der heute in Oyster Bay, New York, lebt und immer noch arbeitet, wurde 1906 als Horst Bohrmann in Weißenfels an der Saale geboren. Zunächst studierte er in Hamburg Architektur, später in Weimar am Bauhaus unter Gropius Möbeldesign. 1929 bewarb er sich bei Le Corbusier um einen Posten als Pariser Assistent. Er blieb jedoch nicht lange bei dem schweizer Architekten, denn bald kreuzte sich sein Weg mit dem des legendären George Hoyningen- Huené, des führenden Fotografen der 'Vogue‘. Horst wurde dessen Modell und Assistent, schloß in dessen Zirkel Freundschaften mit Cocteau, Chanel, Gertrude Stein, Dali und Leon Blum.
Obwohl er kaum praktische Foto- Erfahrung besaß und sich weitgehend an den während des kurzen Architekturstudiums erworbenen Kenntnissen orientierte, wurde Horsts erste eigene Ausstellung 1932 wohlwollend besprochen und erregte die Aufmerksamkeit Coné Nats. Der hellsichige Gründer und Herausgeber von 'Vogue‘, 'Vanity Fair‘ u.a. hatte zu einer Zeit, als ihr Status in der Hierarchie der Künste noch keinesfalls geklärt schien, die Bedeutung der Fotografie für sein Metier erkannt und verpflichtete nach Steichen und Huené nun auch den jungen Deutschen. Horst reüssierte in den Dreißigern, dem großen Modejahrzehnt, das sich anschickte, die künstlerischen Revolutionen, welche Paris seit dem Weltkrieg in Atem hielten, mit den Interessen des Kommerzes zu versöhnen.
Horsts Modefotografie ist eine mithin synthetische Kunst. Die Malerei ist ihre ständige Referenz, sei es als direktes Zitat — sein Porträt der moddänen Madame Larivière stellte er Goyas Frauen auf dem Balkon nach — oder als grundlegender Einfluß auf die Kompositionen. Sein Hang zum Neoklassizismus ist das vielleicht eindeutigste Erbstück Huenés: Bisweilen wirken seine Modelle wie eingefroren in die Posen antiker Göttinnen, umgeben von ionischen Säulen oder griechischen Statuen. Noch in den ausgehenden Achtzigern läßt er das Model Iman in einem gepunkteten Valentino-Abendkleid auf einer Skulptur ruhen, die einem Pferdekopf des Parthenon nachgebildet scheint. Freilich war Horst auch in der Lage, der Lebendigkeit seiner bervorzugten Modelle, etwa der bezaubernden Lisa Fonssagrives oder der modäneren Helen Bennett, mit einem temeperamentvollen Faltenwurf und einer pointierten Ausleuchtung Rechung zu tragen. Horsts Fotos verraten eine gebändigte Liebe zum Ornament, zur Arabeske. Selten stellt er die preziösen Haute-Couture-Modelle vor schlichte, schmucklose Hintergründe, meist umgibt er sie mit einem detailreichen Dekor oder akzentuiert sie mit seiner kühlen Geometrie des Lichts.
Eine derart prunkende Könnerschaft muß fast notwendigerweise genreübergreifend sein. Horsts Stilleben oszillieren zwischen strenger Komposition und dichtgedrängter, geradezu barocker Detailfülle. Das Spektrum reicht von Mikroaufnahmen von Pfanzen, Erforschungen der Gesetze des Lichts angesichts abstrakter Formen bis zu gefällig-artifiziellen Kompositionen. Diese Linie kulminiert in einer elegischen, durchaus prätentiösen Vanitasdarstellung aus dem Jahre 1989, Harmonie der Formen: die kleine Statue eines sehnig-muskulösen Mannes, dessen Haupt einem Totenschädel gleicht, daneben eine Hand aus Kalkstein, ein Fotoalbum mit einem Porträt Horsts aus jüngeren Jahren (von seinem Mentor Huené), eigene Arbeiten Horsts, im Vordergrund die Autobiographie Benjamin Franklins in einer alten Ausgabe. Eine Lebensbilanz.
Seine Aktstudien sind sinnlich und kühl zugleich, nur nicht wenn sie lebendige und künstliche Formen (Möbel, Skulpturen, Schaufensterpuppen) aufeinander beziehen. Er betreibt eine „Geometrisierung“ seiner Modelle, die auch seine Modesujets auszeichnet. Gesichter hat er konsequent aus den Bildern verbannt, die Torsi modelliert er im Spiel von Licht und Schatten und im Alternieren von Linien und Kurven (seine an Inres erinnernde Odaliske war, nebenbei, das ins Auge fallende Plakatmotiv der überaus populären Aktfoto-Wanderausstellung der späten achtziger Jahre).
Als Porträtist kultivierte er die gleichen Tugenden wie als Modefotograf: Auch hier geht es um das Einfangen des Ephemeren, des Kurzlebigen und des Zeitkolorits. Hier ist sein Blick mal unbeirrt (Dame Edith Sitwells klassisches Profil triumphierend über einem aufgeschlagenen Buch), mal unkonventionell (die willensstarke Bette Davis plazierte er in einen überdimensionalen Holzstuhl, ohne daß sie ihm darin verlorengeht). Und gar prophetisch: In den Augen des jungen Yves St. Laurent, 1959 noch Neuling bei Dior, witterte Horst schon den Ehrgeiz, der sich Jahrzehnte später längst ausgezahlt hat; da porträtiert er ihn als feudalen Modefürsten in dessen Normandie- Schloß.
Eines der schönsten, hellsichtigsten Porträts zeigt den jungen Luchino Visconti 1937: ein Aristokrat voller jugendlich-verlegener Arroganz. Stolz hebt er das Kinn, den Mund mißtrauisch geschlossen, die Augen abweisend auf den Betrachter gerichtet. Nur die beiden Hände, die das übergeschlagene Knie halten, mildern den Ausdruck. Horst hat ihn — romantisch, düster — vor einen künstlichen Wolkenhimmel gesetzt, ein Lichtstrahl streift die glatt zurückgekämmten Haare und ruht auf der linken Schulter. Stirn und Augenbrauen akzentuiert er mit einem Unterlicht, die Augen, den ganzen Rest des Gesichts beläßt er im Halbdunkel.
Die Aussteller beweisen Gespür für das sinnfällige Nebeneinander. Etwa wenn sie Porträts der Rivalinnen Coco Chanel und Elsa Schiaperelli einander zuordnen: Die erste, sich auf einem Kanapee entspannend, die zweite, in einem ovalen Fenster lehnend, tragen einen Disput zwischen Horizontaler und Vertikaler aus. Man hat es auch verstanden, unauffälliger, aber nicht weniger akkurat, eine Reihe von Modefotografien zu gruppieren, denen die Idee der Kreisform zugrunde liegt, im Dekor, in der Kleidung und in der Lichtführung.
Horst. 60 ans de photographie. Musee des arts de la mode, Paris. Bis zum 9.September 1991. Ausstellungskatalog 80 FF. Verwiesen sei auch — mit Vorbehalten gegen die Farbreproduktionen — auf den verschwenderischen Band Horst- Photographien 1930-1990 , der bei Schirmer/Mosel erschienen ist.
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