: Merkt's wieder keiner?
Achim Benning verläßt das Züricher Schauspielhaus ■ Von Gerhard Mack
Achim Benning und die Neue Schauspiel AG sind übereingekommen, den Direktionsvertrag am Ende der kommenden Spielzeit 1991/'92 aufzulösen.“ Mit dieser spröden Mitteilung der beiden Konfliktparteien endet der Versuch, in Zürich großstädtisches Theater von internationalem Format zu machen. Seit Monaten drohte die Eskalation der Krise, sie schwelt seit Bennings Beginn. 1989 hatte er es gewagt, Frischs mildes Kamingeplauder gegen die Schweizer Armee Jonas und sein Verteran uraufzuführen, als die Abstimmungskampagne der Armeegegner lief. Diese Attacke gegen eine scheinbar sakrosankte Nationalheilige hat ihm der Verwaltungsrat nie verziehen. Als die rotgrüne Stadtregierung glaubte, nach 40jähriger Abstinenz von der Macht, die Schulden der Konservativen mit puritanischer Eilfertigkeit abtragen zu müssen, hatte man eine schöne Gelegenheit, unliebsame Inhalte mit finanzpolitischen Argumenten anzugehen.
Den allgemeinen Streichungen fiel auch die Subventionserhöhung zum Opfer, die Benning zur Realisierung seiner künstlerischen Konzeption in den Vertragsverhandlungen zugesagt worden war. Als die Stadt sich außer Stande sah, die beantragten Gelder in den Haushalt aufzunehmen, mußten Direktion und Ensemble erfahren, daß der Verwaltungsrat bemüht war, das künstlerische Profil des eigenen Hauses zu demontieren, statt es dem Fiskus gegenüber zu vertreten. Jetzt hat Benning offenbar die ständigen Querelen, Attacken und Vertrauensbrüche leid. Seit dem 3.Juni liegt dem Gremium sein Demissionsgesuch vor.
Bennings Entscheid, „zwei Jahre vor Ablauf der vorgesehenen festen Vertragsdauer“ zu gehen, ist auch Ausdruck einer strukturellen Krise des Hauses und der Kulturpolitik der Stadt. Schon die letzten drei Jahre der Direktion Gerd Heinz wurden mit Defizit abgeschlossen. Die öffentlichen Zuschüsse wurden nur unzureichend an die Teuerungsrate angepaßt: „Seit der Ära Buckwitz (1970-77) haben sich die jährlichen Beiträge der öffentlichen Hand de facto um zwei Millionen Franken verringert“, registrierte Achim Benning im Frühjahr dieses Jahres. Die Lagerkapazitäten des Hauses sind mehr als erschöpft, das technische Personal müßte dringend aufgestock werden, das Ensemble ist zum Teil überaltert und eher an Fernseharbeiten interessiert. Starre Gesamtarbeitsverträge kosten Überstunden. Bennings Ehrgeiz, den seit Jahren steigenden Perfektionsansprüchen der Theatermacher und -zuschauer gerecht zu werden und obendrein fünf bis neun Stücke gleichzeitig auf dem Spielplan zu haben, ließ sich da nur schwer realisieren.
Benning ist für Zürich ein Ermöglicher. In seinen zwei bisherigen Spielzeiten wurden Stücke von Endres, Kretzen, Frisch, Havel und Muschg uraufgeführt, Hauptmanns Christiane Lawrenz wurde für die Bühne entdeckt, dem Hausautor Thomas Hürlimann hielt Benning die Treue, auch nachdem Der letzte Gast nicht das erwartete Wunder war. Es gab Renner in eher konventionellen Inszenierungen, aber auch Stücke von Thomas Bernhard und George Tabori. Und er brachte Regisseure wie Benno Besson und Peter Palitzsch an die Limmat, zuletzt auch Wolfgang Engel, dessen luzide und harte Judith noch heute durch unsere Träume geht. Als Benning kam, schrieb ihm Max Frisch: „Sie sind ein Glück für Zürich. Aber ob die's merken?“
Nach Baumbauers Abgang aus Basel ans Deutsche Schauspielhaus in Hamburg steht 1992 auch der zweiten Bühne des Landes ein Wechsel der Leitung ins Haus.
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