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„Im Kopf und im Herz streike ich mit“

...aber eben nicht in Wirklichkeit/ Der Frauenstreik, der die Schweiz lahmlegen sollte, war überall Stadtgespräch/ An vielen Orten fanden die Streiks aber nur minuten- oder stundenweise statt  ■ Aus Basel Th. Scheuer

„Wenn Frau will, steht alles still — 14. Juni landesweiter Frauenstreik“. Auf der frühmorgendlichen Routine- Route im Viertel ist vom seit Wochen proklamierten Frauenstreik noch nichts zu spüren. Am Zeitungskiosk händigt wie üblich eine Frau die Lektüre aus, im Stammcafé „Graziella“ bedient eine weibliche Hand die Espressomaschine, eine Frau kassiert im Fotokopierladen. Im Stadtzentrum dagegen ist der Frauenstreik unübersehbar: Enorm viele Frauen tragen Buttons und Luftballons mit dem Aktionssignet. Transparente, Info-Stände und Diskussionsgruppen auf allen Plätzen. Es sind vornehmlich junge Frauen, die die Aktivitäten tragen; viele offensichtlich aus Branchen, in denen die Arbeitszeitregelung flexibler gehandhabt wird als in staatlichen Amtsstuben oder Industriehallen. Aber auch eine Gruppe älterer Frauen zieht durch die Straßen, selbstironisch ausgerüstet mit Hausarbeitsutensilien wie Bügeleisen oder Waschbrettern. Auf ihrem Transparent fordern sie die rechtliche Anerkennung der Familienarbeit.

Der Frauenstreik ist Stadtgespräch. Mit ihm wollten Schweizerinnen 20 Jahre nach der verspäteten Einführung des Frauenwahlrechtes und 10 Jahre nach der formalen Verankerung der Gleichberechtigung in der Verfassung gegen die nach wie vor zahllosen Formen der Diskriminierung protestieren. Der Frauenstreiktag sollte ein Signal setzen. Das hat er gewiß in einem vom Konsens- Wahn geplagten Land, in dem das Wort Streik selbst in der Männerwelt ein Fremdwort ist.

Vielerorts sind Aktionen angesagt, die frau vielleicht als indirekte oder „sanfte Streiks“ bezeichnen könnte. Da werden etwa Kinder nicht nach Hause geschickt, sondern die Erzieherinnen nehmen sie mit zum Demo-Picknick. Anruf bei einer Freundin in der Chemiefabrik. Bei den Kolleginnen war der Frauenstreik zwar Dauerthema, doch eine Arbeitsniederlegung kam ernsthaft nicht in Frage. „Aber wenigstens eine Stunde streike ich auf jeden Fall; und wenn ich mich diese Stunde lang in die Toilette einschließe.“

Gleich beim Barfüsserplatz, auf dem mächtig lila Rummel herrscht, füllt ein Streiktransparent das ganze Schaufenster eines Buchladens aus. Doch die Ladentür steht sperrangelweit auf, eine Frau hinter der Kasse. Hätten Sie nicht konsequenterweise heute schließen müssen? Eigentlich schon, räumt die Buchhändlerin ein bißchen verschämt ein, sie hätten das auch lange mit der Chefin (!) diskutiert. Aber einen ganzen Tag lang zuzumachen sei eben finanziell für so einen kleinen Laden nicht drin.

Doch wo wird nun „echt“ gestreikt an diesem Frauenstreiktag? Anruf im Krankenhaus: Der Betrieb läuft normal. Blick in die Hauptpost: An den Schaltern ausschließlich Frauen. „Streikt bei Ihnen niemand heute?“ „Nein. Wenn wir streiken würden, könnte die Post ja gleich zumachen.“ Eben. In der Berner Streikzentrale ist es mittags für eine landesweite Übersicht noch zu früh. „Es läuft überall“, heißt es zufrieden. In vielen, auch kleineren Orten sei es zu stunden- oder wenigstens minutenweisen Streiks gekommen. In Fribourg öffneten zwei Kaufhäuser verspätet, weil Frauen die Eingänge blockierten. Den Platz vor dem Berner Bundeshaus nahmen um die Mittagszeit an die dreitausend Frauen in Beschlag. Den Platz hatte die Regierung teilweise absperren lassen, um dort zum siebenhundertjährigen Bestehen der Schweiz einen „Tag der internationalen Begegnungen“ mit dem diplomatischen Corps und ausländischen Staatsgästen zu begehen. Wer sich da so alles begegnete, nachdem die Frauen die polizeilichen Absperrungen durchbrochen hatte, war bei Redaktionsschluß offen.

Das Bruttosozialprodukt Helvetiens hat dieser Frauenstreik sicherlich nur unwesentlich geschmälert. Das war auch nicht sein Sinn. Vermutlich trifft es jene ältere Kaufhausverkäuferin, die, offenbar innerlich im Zwiespalt zwischen Jobzwang und Aufbegehren, erzählt: „Ich bin solidarisch und würde sehr gerne mitlaufen, wenn ich freihätte. Aber ohne Ablösung kann ich unmöglich weg. Auf jeden Fall streike ich im Kopf und im Herz mit.“

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