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Rameau

Sieh diesen reinen Verstand! — ich möchte nicht das Wort Verstand brauchen — Sieh diesen reinen, richtigen, gefühlvollen Sinn, der's ist, ohne Anstrengung, ohne mühseliges Forschen! Und sieh dabey diese himmlische Güte!

Die vollkommenste, liebevollste Harmonie hat diese Gestalt ausgebildet. Nichts Scharfes, nichts Eckigtes an dem ganzen Umrisse, alles wallt, alles schwebt ohne zu schwanken, ohne unbestimmt zu seyn. Diese Gegenwart wirkt auf die Seele, wie ein genialisches Tonstück, unser Herz wird dahingerissen, ausgefüllt durch dessen Liebenswürdigkeit, und wird zugleich festgehalten, in sich selbst gekräftigt, und weiß nicht warum? — Es ist die Wahrheit, die Richtigkeit, das ewige Gesetz der stimmenden Natur, die unter der Annehmlichkeit verborgen liegt.

Sieh diese Stirne! diese Schläfe! in ihnen wohnen die reinsten Tonverhältnisse. Sieh dieses Auge! es schaut nicht, bemerkt nicht, es ist ganz Ohr, ganz Aufmerksamkeit auf innres Gefühl. Diese Nase! Wie frey! wie fest! ohne starr zu seyn — und dann, wie die Wange von einem genüglichen Gefallen an sich selbst belebt wird, und den lieben Mund nach sich zieht! und wie die freundlichste Bestimmtheit sich in dem Kinne rundet! Dieses Wohlbefinden in sich selbst von umherblickender Eitelkeit, und von versinkender Albernheit gleichweit entfernt, zeugt von dem innern Leben dieses trefflichen Menschen. Ein physiognomisches Fragment von Goethe über Rameau aus: „Goethes Werke“ (Sophienausgabe), I.Abteilung, Bd.37, Weimar 1896

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