: Reale Friedenschance für Guatemala
Nach dreißig Jahren Bürgerkrieg Dialog zwischen Militärs und Guerilla/ Krieg noch allgegenwärtig ■ Aus Guatemala Ralf Leonhard
Nineth Montenegro, die Chefin der Vereinigung von Familienangehörigen der Opfer politischer Gewalt (GAM), flüchtete vor wenigen Tagen an einen „sicheren Ort“, wahrscheinlich eine Botschaft, nachdem sie wiederholt und immer konkreter bedroht worden war. Vor einem Monat ging der prominente Sozialdemokrat Luis Zurita gemeinsam mit sieben weiteren Führern der demokratischen Linken ins Exil. Eine seiner engsten Mitarbeiterinnen, die Gewerkschafterin Dinora Perez, war von einem Terrorkommando ermordet worden. Jüngstes Opfer der politischen Gewalt ist der Richter Hector Espinoza, der am Dienstag auf offener Straße niedergeschossen wurde. Wie bei fast allen politischen Attentaten in Guatemala gibt es weder Verdächtige noch Festnahmen oder gar Versuche der Aufklärung. Der schmutzige Krieg ist allgegenwärtig und so weit Bestandteil des Alltags geworden, daß derartige Meldungen kaum noch Aufsehen erregen. Übergriffe der Armee gegen die indianische Bevölkerung im Hochland werden in den Zeitungen nicht einmal gemeldet.
Die Medien befassen sich mit der jüngsten Steuererhöhung, der Festnahme eines Waisenhausgründers und einer Spaltung der Christdemokratischen Partei. Der Dialog, der heute im mexikanischen Cuernavaca beginnt, findet kaum Erwähnung. Dabei handelt es sich um den ersten aussichtsreichen Verhandlungsversuch in einem 30 Jahre dauernden Krieg. Unter der Vermittlung von Bischof Rodolfo Quesada Toruno, dem Vorsitzenden der Nationalen Versöhnungskommission, trifft eine Delegation aus Regierungsfunktionären und Militärs auf das Oberkommando der Guerillafront URNG. Die Punkte der Tagesordnung wurden beim ersten Dialog Ende April bereits festgelegt: Demokratisierung und Menschenrechte, Stärkung der Zivilmacht gegenüber der Armee, Rechte der Indiovölker, Verfassungsreformen sowie wirtschaftliche und soziale Probleme, darunter die ungerechte Landverteilung. Wenn über die politischen Aspekte eine Einigung erzielt werden kann, soll es einen Waffenstillstand geben, der schließlich in die Entwaffnung und Eingliederung der Guerilleros in die Zivilgesellschaft mündet. Allein die Einigung über eine Tagesordnung kann bereits als Erfolg betrachtet werden. Doch die Revolutionäre fürchten, daß sie von Präsident Jorge Serrano Elias über den Tisch gezogen werden sollen. Serrano, ein Verfechter des Neoliberalismus, der erst vor fünf Monaten sein Amt übernahm, lancierte Anfang April eine „Initiative für den totalen Frieden“, in der er all die Reformen verspricht, die die Guerilla fordert, allerdings nicht als Voraussetzung, sondern als Konsequenz eines Waffenstillstandes. Die Kommandanten der URNG, die erkannten, daß ihnen eine Ablehnung des Friedensplans schwere politische Kosten verursachen würde, nahmen bedingt an und beriefen sich auf die Erklärung von Oslo, in der Serrano im März 1990 (damals noch als Chef einer Parteiendelegation) eine Anzahl von Grundvoraussetzungen für einen Verhandlungsfrieden unterschrieben hatte.
Beide Seiten stehen unter Druck: Die Regierung ist mit einer unlösbaren Finanzkrise konfrontiert und kann sich eine Fortsetzung des Krieges nicht leisten. Anders als in El Salvador ist die Militärhilfe der USA an die guatemaltekische Armee marginal. Die URNG ihrerseits ist zwar in der Lage, die Militärs durch Sabotageakte in fast allen Landesteilen auf Trab zu halten, hat aber wenig Basis unter der kriegsmüden Zivilbevölkerung. Die Armee, die nach offiziellen Quellen im letzten Jahrzehnt 20.000 Mann durch Tod oder Verletzung verloren hat, scheint erstmals zu Konzessionen bereit zu sein. Selbst die Auflösung der sogenannten zivilen Selbstverteidigungspatrouillen in den indianischen Dörfern und Umstrukturierungen der brutalen Sicherheitskräfte sind nun Verhandlungsmasse. Die von der URNG geforderte drastische Entmilitarisierung lehnt die Armee jedoch ab. „Unsere Truppenstärke von 40.000 Mann ist nicht einmal in Friedenszeiten ausreichend zur Grenzsicherung“, klagt ein Kommandant der Militärpolizei.
Die Verhandlungsrunde von Cuernavaca, die unter strenger Geheimhaltung abläuft, wird zeigen, ob eine Annäherung der Positionen möglich ist. Präsident Serrano jedenfalls hat die propagandistischen Erfolge auf seiner Seite. Er hat einen „Fonds für den Frieden“ gegründet, aus dessen Mitteln für die einmal entwaffneten Guerilleros Land gekauft werden soll.
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