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„Nicht kleckern, sondern klotzen“

Siemens übernimmt Kerngeschäft der Transformatoren- und Röntgenwerk GmbH/ Ex-Groß-VEB ist die 14. Siemens-Gesellschaft in den FNL/ Sachsen zahlt 35 Millionen als Investhilfe an Firmen  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Dresden. Zwischen Autobahnabfahrt, Reichsbahngleis und Hafenmündung, am Rande des nördlichen Industriegebietes der Stadt, liegt das Transformatoren- und Röntgenwerk. Einst war TuR einer der größten Dresdener Betriebe. Er allein versorgte den RGW-Raum mit Hochspannungsprüftechnik. Transformatoren, Röntgen-, Medizin- und Ultraschalltechnik waren bei DDR- Abnehmern gefragte Erzeugnisse; etwa 60 Prozent des Jahresumsatzes wurden über Export realisiert. Der Betrieb produzierte an sieben Standorten und unterhielt 34 Servicebüros für Medizintechnik. Keine schlechten Karten für die TuR, wo im November 1989 noch 5.400 Menschen arbeiteten. Siemens AG und Philips Medizintechnik, als Kooperationspartner schon lange bei TuR „zu Hause“, interessierten sich bald für das lukrative Unternehmen.

Weltweit gebe es nur wenige Großunternehmen mit einem ähnlich breiten Erzeugnisprofil, begründete TuR-Geschäftsführer Horst Schwab die langfristige Orientierung auf Siemens. Ehemals private Bereiche in Halle, Hohen Neuendorf und Dresden, 1972 verstaatlicht, fielen reprivatisiert aus dem Werksverbund heraus. Die Treuhand verkaufte 14 Geschäftsbereiche mit knapp 2.000 MitarbeiterInnen. Den Schlußstrich unter die Privatisierung des Dresdener Großunternehmens zieht am 1. Juli die Siemens-Tochter Energie- und Medizintechnik GmbH mit der Übernahme des ehemaligen Stammwerkes. Als „Siemens Energie- und Medizintechnik GmbH Dresden“ soll das Unternehmen die Erzeugnislinien Transformatoren, Röntgentechnik und Hochspannungsprüfanlagen fortsetzen. Geschäftsführer Manfred Merzdorf rechnet sich „große Marktchancen in den neuen Bundesländern“ aus.

Dem stehe zwar ein Finanzbedarf von 120 Millionen DM für Sanierung und Modernisierung entgegen, doch schon 1993/94 könnte der Gewinn „an die Nullinie herankommen oder sie leicht durchstoßen“. Mit Hochspannungsprüftechnik erhofft sich Siemens einen Weltmarktanteil von 18 Prozent. Dazu gehöre, wie Merzdorf in Dresden informierte, auch der Bau von Elktrofilteranlagen zur Reinigung der Abluft von Kraftwerken und Industrieanlagen. Im östlichen Teil Deutschlands „dürfte ein großer Nachholbedarf vorhanden sein, der für die Mitarbeiter Beschäftigungsmöglichkeiten bietet und für die Bevölkerung die Atemluft verbessert“.

Der Trafobau bediene „eine Schlüsseleinrichtung der noch zu verbesserenden Energieversorgung“. Für die Medizintechnik würde sich auch die Sowjetunion interessieren, deren Röntgenanlagen von Dresden aus betreut werden. „Präsent bleiben“, laute das schlichte Siemens-Konzept für den osteuropäischen Markt. Ein hoher Bedarf sei sicher, nur wäre vorerst eine „wirtschaftliche Erholung“ im Osten nötig. Lieferungen von Röntgentechnik in die Sowjetunion sind in Höhe von 23 Millionen DM durch Hermeskredite gedeckt. „Die UdSSR würde mehr nehmen“, erklärte Merzdorf, „aber der Prozeß der Finanzierung ist sehr kompliziert.“ Auch das Warenzeichen „TuR“ bleibt neben dem Siemens- Logo bestehen.

„Die Erzeugnisse aus Dresden werden Weltmarktbestand haben“, versicherte Merzdorf. Trotzdem stehen mindestens 1.500 TuR-Beschäftigte vor der Entlassung. Firmenleitung und Betriebsrat setzen auf Umschulung und ABM. Ein zeitweiliges Arbeitsamtbüro soll helfen, „gravierende soziale Nachteile zu verhindern, eine Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß zu ermöglichen“.

Konkreter kann es die Firma noch nicht sagen; aber sie stellt für die Umschulung zwei Jahre lang Räume im Werk zur Verfügung. Geschäftsführer Merzdorf verweist auch auf die „dringlichen Anfragen“ und „Absichtserklärungen“ weiterer Siemens-Unternehmen nach freiwerdenden Flächen auf dem 34 Hektar großen TuR-Gelände. „Dort können weitere Arbeitsplätze geschaffen werden“, meint die Firmenleitung. Dresden solle für Siemens ein wichtiger Produktionsstandort werden.

Die TuR-Nachfolgerin ist die 14. Siemens-Gesellschaft in den neuen Bundesländern. So arbeiten schon 20.000 Beschäftigte in Niederlassungen von Siemens. Allein in Sachsen will das Unternehmen 500 Millionen DM investieren. „Das zeigt die Attraktivität des Landes als Wirtschaftsstandort“, freute sich der sächsische Wirtschaftsminister Schommer schon zu Jahresbeginn. Das Siemens-Zentralvorstandsmitglied Neglein nannte damals als Gründe für dieses Engagement des Unternehmens, daß „Sachsen als Schwerpunkt der Elektro- und Elektronikindustrie der ehemaligen DDR über ein großes Potential qualifizierter Arbeitskräfte“ verfüge. Doch die Hoffnung der Sachsen soll sich nicht nur an Siemens und die wenigen anderen Großinvestoren klammern. „Nicht kleckern, sondern klotzen“, heißt die Ministerparole für die kleinen und mittleren Unternehmen. Zuschüsse seines Hauses in Höhe von 35 Millionen DM sollen einzelbetriebliche Investvorhaben fördern. 1.700 Arbeitsplätze und 25 Ausbildungsplätze rechnet sich das sächsische Wirtschaftsministerium aus. Mit jeweils neun Millionen DM wurden die Schkeuditzer Firma Hegenuk Fahrzeugklima GmbH und die Leipziger Wälzlager GmbH bedacht. „Wo sonst finden Investoren so viele qualifizierte und hochmotivierte Arbeitskräfte wie in Sachsen?“ Dort ist vor dem am 1. Juli zu erwartenden Zusammenbruch eine relative Ruhe auf dem Arbeitsmarkt eingetreten. Die Arbeitslosenquote liegt seit einigen Monaten bei 8,3 Prozent. Die Zahl der Kurzarbeiter nahm geringfügig ab.

Im Haushaltsentwurf, der am nächsten Freitag im Parlament debattiert wird, sind 7,2 Milliarden DM für Investitionen vorgesehen. Das sind 27,4 Prozent der Gesamtausgaben. Deutlich mehr als in den alten Bundesländern, kommentierte Finanzminister Milbradt. Allerdings könne Sachsen seine Ausgaben nur zu rund 20 Prozent aus eigener Kraft erwirtschaften. Die daraus resultierende Kreditaufnahme von annährend 4,5 Milliarden DM sei „die äußerste Grenze des noch Vertretbaren“.

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