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Zum Gruseln: Der Verunstaltungsplan 1999

■ Im Hollerland werden Claims für eine unsoziale und unökologische Bebauung abgesteckt / taz-Serie zur Bremer Architektur (8)

Obwohl der Ortsbeirat in Horn- Lehe schon im Januar den Entwurf für die Bebauung des Hollerlandes einstimmig abgelehnt und gewichtige Einwände vorgetragen hat, hält das Planungsamt unverdrossen daranfest.

Um die Hollerlandbebauung ist über 13 Jahre hinweg ein Wassergrabenkrieg geführt und so manche Schlammschlacht geschlagen worden. Als Mitte der 80er Jahre (nach zähem Ringen einer Bürgerinitiative) drei Viertel der Flächen unter Naturschutz

...über den Zeichentisch gezogen worden

gestellt werden konnten, verständigte sich schließlich die Landesregierung mit den NaturschützerInnen doch noch auf eine Bebauung. In einer — heute schon legendären - Nachtsitzung wurden im Oktober 89 die Weichen für den vorliegenden Plan gestellt, die Planungsziele in einem „Einigungspapier“ schriftlich fixiert und das ganze Vorhaben auf 22 Hektar parallel zur Lilienthaler Heerstraße festgezurrt. Die Bebauung sollte „so ökologisch wie möglich“ werden, sich an einer „traditionellen bremischen Architektur“ orientieren und „breiten Schichten der Bevölkerung gute Wohnbedingungen“ bieten. Denkste!

Jetzt liegt seit ein paar Tagen der Entwurf zum Bebauungsplan 1999 vor, und alle BremerInnen können selbst sehen, was nach dem Gekungel mit dem Herrn Senator Kunick von den alten Versprechungen übrig geblieben ist. Die Bürger sind über den Zeichentisch gezogen worden, und was die Stadtplaner ausgeheckt haben, sieht ziemlich belemmert aus.

Längs einer Straße, die vom Autobahnzubringer Horn-Lehe abzweigt, über vier Fleete führt und in einem Wendehammer endet, wurden einfach Claims abgesteckt. Jedes Areal ist zirka 130 auf 65 Meter groß und kann im Hinblick auf Bauweise und Baustoffe, Formen und Farben beliebig vollgeknallt werden — postmodern oder im schlichten Stil der Fünfziger, und jedenfalls ganz unbeeindruckt von ökologischen Belangen. Wollen wir uns überraschen lassen?

Nirgends entdeckt man in dem Plan eine bindende Baulinie oder ein anderes Planzeichen, mit denen ein verantwortlicher Städebauer üblicher Weise sonst seine Plätze und Stadträume formt, Frei- und Landschaftsräume gliedert und die Baumassen künstlerisch gestaltet.In geschlossener Bauweise, längs oder kreuz oder quer, quasi als Omelette surprise — alle Festlegungen über Art und Maß der Nutzung erlauben, daß fast die Hälfte der Grundstücke allein schon mit Bauten zubetoniert werden. Wege, Zufahrten und Autostellplätze noch nicht gerechnet. Jedes Grundstück kann mit bis zu drei wie auch immer zerhackten Etagen vollstapelt werden werden. Maximale Höhe: 14,50 Meter bis unter die ausgebauten Dächer. Darunter sitzt ein Garagensockel...

Und weiter nördlich ist schließlich alles erlaubt. Kein „Vorschriftenkorsett“ zwängt den traditionell schlechten Ge

Zur beliebigen Verwüstung freigegeben. Der Bebauungsplan fürs Hollerland weist lauter Blankoflächen aus. Nur unten ist minimalste Absicht eingezeichnet.

schmack und die Lust zum Erfinden neuer Gemeinheiten ein. Zum Pappelwäldchen hin sind zwei lange und bis zu 15 Meter dicke „Würste“ vorgesehen. Der müde Schwung der Straße zwischen parallel eingezeichneten Baugrenzen täuscht einen Straßenraum nur vor. Tatsächlich droht hier, bei vorgesehener Blanko- Bebauung, alles mögliche bis hin zum Salamischeiben-Zickzack.

Der schmale Streifen daneben ist für LottogewinnerInnen gedacht und darf mit vielen Beliebigkeiten, bis zu 11 Metern Höhe aufgetürmt, auf Lücke gebaut werden. Falls sich keine KäuferInnen für die teuren Grundstücke finden, werden auch hier bis zu 50 Meter lange Reihenhausgruppen den Blick in die neblige Ferne verstellen, weil so etwas nach den Regeln des Spiels auch noch als „offene Bauweise“ durchgeht.

Auch im nördlichen Teil des Quartiers — Zufahrt vom Lehester Deich — kann jeder erfüllt werden. Die ArchitektInnen dürfen hier entweder die Sau (meinetwegen den Eber) rauslassen und prächtig mit kleinen Häusern kleckern oder im wackligen Rahmen der Spielregeln mit billigeren Kästen klotzen.

Unter den etwa 1.000 Wohnungen wird im ganzen Quartier nur eine kleine Ecke für ein paar Läden und ein Grundstück für den Bau einer kleinen Kindertagesstätte mit 60 Plätzen freigehalten. Andere Gemeinschaftseinrichtungen und Angebote, wie z.B. ein Bürgerhaus mit sozialen Diensten, einer Bücherei, einem Jugendclub und einem Stadtteilcafe als Treffpunkt fehlen völlig. Randale und Vandalismus sind damit

vorprogrammiert.

Obgleich es die GEWOBA und die Spezialisten des Stadtplanungsamtes immer wieder versprochen haben, findet sich auf dem Blatt (sogar entgegen den allgemeinen Vorschriften des Baugesetzbuches) kein einziger verpflichtender Vermerk zum Bau

Einfach abgesteckte Claims, die beliebig vollgeknallt werden können. Eine Schlafstadt ohne Treffpunkte, ohne Sozialwohnungen. Und ohne ökologischen Grips. Sogar Elektroheizungen sind erlaubt.

von Sozialwohnungen. Kein einziges Prozent ist für Leute mit geringem Einkommen, für Studenten oder Senioren vorgesehen. Kein Behinderter wird den Frieden in der Schlafstadt stören.

Völlig „vergessen“ wurden auch alle baulichen ökologischen Belange. Richtlinien für Baustoffe, für Energie- und Trinkwassereinsparung und Abfallreduktion werden bei uns den Spekulanten im freifinanzierten Wohnungsbau erst gar nicht zugemutet. In unserm Ressort für Umweltschutz und Stadtentwicklung läßt frau lieber Hochglanzbroschüren und viele fromme Faltblätter drucken, läßt lieber nette Ausstellungen mit wassersparenden Armaturen und wärmenden Pflanzenpelzen aus Knöterich dekorieren, lamentiert dann über die in Bremen noch immer geplante Zubetonierung von

hierhin bitte

die Plan-Skizze

Grün- und Erholungsflächen...und läßt gleichzeitig ihr Referat in der Öffentlichkeit dafür um Verständnis bitten. Angesichts dieses Bebauungsplanverfahrens aber, wo (skandalös!) sogar ausdrücklich in den textlichen Festsetzungen eine „Beheizung mit Wärmeerzeuger mit elektrischer Energie“ erlaubt wird, ist Frau Senatorin auf Tauchstation.

Das Hollerland hat bekanntlich eine lange Biographie. Es ist ein alter Sumpf. Da, wo so rare Tier- und Pflanzenarten wie die Uferschnepfe und die Krebsschere lange Zeit überlebt haben, stand Ende der 60er Jahre der nicht ganz so seltene Bremer Filz in voller Blüte. Damals konnte ein aus gut unterrichteten Kreisen informierter Makler den BäuerInnen Hunderte von Hektar feuchter Wiesen für ein Magarinebrot abschwatzen und die ganze Beute in feines Bauerwartungsland umwandeln lassen. Die wundersame Geldvermehrung ging als Bremer Baulandskandal in die Pressearchive ein. Damals bestand zwischen den Leuten von der „Neuen Heimat“ und den Verantwortlichen in der Stadt noch dicke Freundschaft, und Hand in Hand stieg man in das Geschäft ein.

Die Seilschaft von GenossInnen und BaugenossInnen träumte bis Ende der 70er Jahre erst von einer „Hollerstadt“ für 100.000 EinwohnerInnen, dann von einem „Venedig des Nordens“ für wenige Betuchte. Anfang der 80erJahre, als schon allein 70 Millionen an Kreditzinsen für die Grundstückankäufe in den feuchten Sand gesetzt waren und sich die Konjunktur abschwächte, magerte das Projekt auf rund 200

Hektar „Wohn-Gewerbe-Mischgebiet“ und auf bescheidene Vorschläge für vorfabrizierte Rohlinge ab, die sich die BastlerInnen selbst ausbauen sollten.

Um damals trotz des fehlenden Bedarfs an Gewerbeflächen Pfähle in das Projekt zu rammen, wurde per Bremer Telefondemokratie der befreundete Gewerkschaftsbund auf Trab gebracht.

Telefondemokratie gebiert Coop-Monster

Eine Gewerkschaftstochter errichtete damals rasch ihr „Coop- Monster“, das seit dieser Zeit als eine Art architektonische Notlandung die Radfahrer auf der Tour ins Blockland erschreckt.

Inzwischen lag aber ein dickes ökologisches Gutachten auf dem Tisch. Auch hatte sich längst eine Bürgerinitiative formiert und mit der „Roten Liste“ und anderen guten Argumenten gegen das Projekt bewaffnet. Damals.

Und jetzt? Noch immer ist Zeit zum Nachdenken. Noch immer könnte ein wirklich in die Zukunft weisender Bebauungswettbewerb veranstaltet werden, als dessen Ergebnis dann ein „Bebauungsplan 2000“ gezeichnet werden müßte.

Solange gilt: „Hände weg vom Hollerland“ urbi

PS: Der Bebauungsplan 1999 wird jetzt erst einmal zur Einsichtnahme öffentlich ausgelegt. Bevor die Bürgerschaft darüber berät und beschließt, können alle LeserInnen im Planungsamt ihre Anregungen und Bedenken vortragen, wie unser Dorf schöner werden kann.

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