: Schrecken aus der Trickkiste
■ Szenische (De-)Montage von „1945“ — Theater im Waller Kulturzentrum in spe
In einer ehemaligen Straßenbahnwerkstatt wächst das Kulturzentrum Walle heran (Träger: Gewerkschaften und Kulturbehörde), um in Zukunft ArbeitnehmerInnen und Arbeitslosen kulturellen Raum zu geben. Eine Premiere erlebte jetzt der bereits nutzbare Veranstaltungsraum: „1945“, eine szenische Montage zur Nachkriegszeit, inszeniert von Peter Schenk mit dem Theaterprojekt „Weichenstellung“.
Die szenischen Versuche der professionell schauspielenden Akteure — eine Mischung profilierter Ensemblemitglieder u.a. der bremer shakespeare company und des Essener Schauspielhauses — knüpften aber nur unmerklich an die Bremer Nachkriegsgeschichte an. Konkrete Erlebnisse, die in Geschichtswerkstätten zum Thema zusammengetragen worden waren, gingen unter in einem Sammelsurium von Szenen aus Stücken Heiner Müllers und eigenmächtiger Verwurstung von Celan bis Brecht, von Goethe bis Peter Schenk.
So legte der mutige Autor und Regisseur dem deutschen Großdichter in einem verschlimmbesserten Dialog mit Eckermann die Losung des Tors zum KZ Buchenwald in den Mund: „Jedem das Seine“ — diese Losung sei sprachlich so gelungen, daß sie direkt von ihm selbst, dem letzten Genie deutscher Sprache, stammen könne.
Neben solchen Gedankenlosigkeiten nahmen sich die Texte des neuen deutschen Klassikers Heiner Müller aus wie konservierte Abschreckung. Schmuck, zackig und typisch deutsch — denn außer in freien Theatergruppen soll sich nichts geändert haben — erschießt ein SS-Mann erst seine Frau, dann seine Tochter. Der Schrecken soll wohl dem Publikum in die Glieder fahren, aber nur der Bühnennebel einer vorangegangenen Szene beißt in den Augen. An den beliebigen Griffen in die Trickkiste spektakulärer Bühneneffekte wird vielleicht Spielfreude deutlich.
Eine Auseindersetzung mit totalitärem Terror findet nicht statt. Mal baumelt ein Opfer an den Füßen aufgehängt über der Bühne, mal sitzt ein blaß gepuderter und schmutzig geschminkte Körper auf einem klapprigen Schrank im Hintergrund der Bühne. Mitgefühl regt sich da allenfalls für die Darstellerin, die sich für die Kunst vergeblich quält.
Malerisch wird der Schrecken inszeniert, um genau zu sein: banalisiert. Sehenswert war an diesem Abend in Walle eher das Naturschauspiel nach der Vorstellung, als die Sonne blutrot über der Waller Heerstraße versank. jok
Nächste Vorstellung: 21.6., 20h, Waller Heerstraße 294
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