: Professor Zagury: Scharlatan oder Lebensretter?
Das Pariser Gesundheitsministerium kritisiert die umstrittenen Aids-Therapien des Impfstoff-Experten Daniel Zagury ■ Von Frank Matter
Der Pariser Forscher Daniel Zagury muß seine umstrittenen Aids-Therapien abbrechen oder zumindest stark modifizieren. Das geht aus einem Untersuchungsbericht hervor, der am Wochenende vom französischen Gesundheitsminsterium veröffentlicht worden ist. In dem Papier schreibt Jean-Paul Lévy, Chef der nationalen Agentur für Aids-Forschung, Zagury habe mit seinen Experimenten „höchstwahrscheinlich“ direkt zum Tod eines Patienten beigetragen.
Der gerügte Wissenschaftler muß sich nun vor dem Regionalrat des französischen Ärzteverbandes für seine Therapien verantworten. Damit setzt sich ein Streit fort, der in Frankreich seit Wochen für erheblichen Wirbel sorgt. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, unter welchen Bedingungen Versuche an lebenden Menschen ethisch zu verantworten sind.
Zagury begann im Sommer 1989 im Pariser Saint-Antoine-Krankenhaus mit einer ungewöhnlichen Versuchsreihe. Er entnahm Aids-Patienten Lymphozyten aus dem Blut und infizierte diese mit dem Kuhpockenvirus, das normalerweise für die Pockenimfung verwendet wird. Das Virus wurde neutralisiert und den jeweiligen Patienten injiziert. Zagury verwendete dieses Virus, weil es die Reaktion des Immunsystems erhöht. Er hatte die Therapie zuvor bei Affen und an sich selbst ausprobiert.
Der französische Forscher informierte die Öffentlichkeit zwar im Wissenschaftsmagazin 'Lancet‘ über seine angeblichen „Erfolge“, verschwieg aber, daß bei seinen Versuchen drei Menschen starben. Wie erst später durchsickerte, waren bei den drei Personen kurz vor dem Tod seltsame Hautveränderungen aufgetreten. Die Ärzte konnten sich das vorerst nicht erklären. Zufällig erfuhr der Dermatologe Jean-Claude Guillaume von den rätselhaften Fällen. Er erkannte, daß die Hautverletzungen typisch für eine Kuhpockeninfektion waren. Die Kuhpocken, die zum Gewebetod der Haut führen (Nekrose), sind heute weitgehend ausgerottet. Wenn die Krankheit jedoch auftritt, endet sie meist tödlich.
Die Zeitung 'Le monde‘ machte Guillaumes Diagnose publik. Das Blatt warf die Frage auf, ob Zagurys Therapien nach den dermatologischen Befunden ethisch noch zu verantworten seien. Problematisch sei vor allem, daß die Herstellung des Impfstoffes die völlige Inaktivierung des Kuhpockenvirus nicht garantiere. Deshalb könnten Testpersonen sogar zu Ansteckungsherden werden, kritisierte 'Le monde‘.
Doch Professor Zagury ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er ist bis heute überzeugt, daß sein Verfahren zur Inaktivierung der Kuhpockenviren absolut sicher ist. Es gebe keinen Anhaltspunkt für den Ausbruch von Kuhpocken. Es handle sich eher um eine Herpesart oder ein — für Aids- Patienten typisches — Kaposi-Sarkom, sagte Zagury in einem Interview. Bei den drei Todesopfern handelte es sich nach seinen Angaben um schwerkranke Patienten, die er nur „aus Mitleid“ in die Therapie aufgenommen habe. Der Forscher sah in der Kritik an seinen Experimenten lediglich eine Intrige, die „Wissenschaftler und ihre äußerst vielversprechenden Forschungen blockiert“. Und weiter erklärte Zagury: „Wenn diese Forschungen nicht gemacht werden, betrifft das das Leben von Tausenden von Aids-Kranken in Frankreich und von Millionen in der ganzen Welt.“
Der Hintergrund des Streits hat womöglich noch eine andere Ursache: Zagury ist mit dem US-amerikanischen Aids-Forscher Robert Gallo befreundet. Gallo streitet schon seit Jahren mit dem frazösischen Aids- Papst Luc Montagnier um die Entdeckung des HI-Virus. Zumindest in Frankreich ist die Auseinandersetzung zur nationalen Angelegenheit geworden.
Gesundheitsminister Bruno Durieux ließ sich von den selbstbewußten Verteidigungsreden aus dem Saint-Antoine-Krankenhaus nicht beeindrucken. Er beauftragte im April den Chef der nationalen Aids- Forschungsagentur, Jean-Paul Lévy, mit einer Untersuchung der Affäre.
Lévys Urteil ist für Zagury vernichtend: Weder seien die Versuche mit der „gebotenen Vorsicht“ durchgeführt worden, noch die Ergebnisse korrekt ausgewertet worden, bemängelt der Bericht. Und die Aussagekraft der Testergebnisse sei „begrenzt“. Lévy kommt zum Schluß, daß „die Bedingungen, unter denen die Experimente stattfanden, allem Anschein nach ungenügend für eine völlige Inaktivierung (der Viren, die Red.) waren“. Der Untersuchungsbericht bestätigt Guillaumes Behauptung, die verstorbenen Patienten hätten tatsächlich Nekrosesymptome entwickelt. „In mindestens einem Fall“, so Lévy, „steht der Tod in direktem Zusammenhang mit der Nekrose.“
Über den konkreten Anlaß, die Affäre Zagury, hinaus fordert die Untersuchung neue Schranken für Experimente an lebenden Menschen. Lévy setzt sich insbesondere für eine Art Kontrollrat ein. Dieses Fachgremium, mit mehr Kompetenzen als die existierende Ethik-Kommission ausgestattet, müßte Experimente an Aids-Kranken schon vom Vorbereitungsstadium an begleiten.
Mit den Zagury-Experimenten wird sich nun der Regionalrat des französischen Ärzteverbandes befassen. Weil Zagury im öffentlichen Dienst tätig ist, mußte der Gesundheitsminister den Verband zu einer Untersuchung ermächtigen.
Mit den einschlägigen Dossiers werden sich jetzt aber auch die zairischen Behörden herumschlagen müssen. Paris hat den Untersuchungsbericht Lévy's bereits nach Kinshasa weitergeleitet. Denn dort führt Zagury klammheimlich schon seit fünf Jahren Versuche an Afkrikanern und Franzosen durch.
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