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Die Musik an der Wand

■ Der Komponist Hans Otte über seine Klanginstallationen (demnächst bei Rabus)

Hans Otte, Hauptabteilungsleiter Musik bei Radio Bremen von 1959 bis 1984, Begründer der bremischen Musik-Festivals „pro musica antiqua“ und „pro musica nova“, arbeitet seit 1984 als freier Komponist insbesondere mit Klang-Raum-Installationen. Für das Museum Neue Weserburg hat er den Auftrag, ein „KlangHaus“ zu installieren, 1992 soll in Schweden ein Festival ausschließlich Hans Ottes Arbeit gewidmet sein, er wird ein großes Kunstmuseum für sich haben, acht Konzerte geben und ein Wahrnehmungstheater-Stück uraufführen. „Vielleicht werden wir es im nächsten Jahr auch einmal hier geben“, sagt Otte. Am liebsten sitzt er derzeit im Zen-Kloster in Japan...

Sie präsentieren sich in der Galerie Katrin Rabus wieder mit Ihrem „Buch der Klänge“ — ist das Klavier nicht ein äußerst reduziertes Klanginstrument?

Hans Otte: Nein. Nach dem Anschlag ist nicht mehr viel zu machen, sicher, es sei denn, man arbeitet mit dem Pedal. Aber das Klavier hat dynamisch unbegrenzte Möglichkeiten, und so viel auf einmal! Sie haben zehn Finger und können zwölf Töne damit spielen...

Zwölf?

Wenn man den Daumen auf zwei Tasten tut.

Im „Buch der Klänge“ sind Sie sparsamer.

Das maximale sind dort zehn. Ich hab's ganz bewußt konzentriert auf den Mittelregister, und jedes der zwölf Stücke bewegt sich in einer Art Klangraum.

Klangraum — was fasziniert Sie an dem Begriff?

Wenn Sie geboren werden, werden sie einem Raum ausgesetzt. Man wird gewissermaßen entführt aus dem seligen Zustand davor. Raum, dunkler Raum, Keller, Wald — Räume sind eine ganz elementare Erlebnissphäre. Leider verliert man durch das Sehen, vor allem durch das Beschreiben mit Begriffen und Bedeutungen das Gefühl dafür. Raum ist immer, um einen herum. Auch Klang: Klang ist immer, auch wenn scheinbar nichts ist.

Wie sind Sie zu den Rauminstallationen gekommen?

Nach wie vor komponiere ich für Instrumente. Das ist eine faszinierende Sache, wie bei Handzeichnungen beweist sich da, was der Komponist kann, eine unglaublich gute Übung. Aber ich habe mich immer parallel mit Formen des experimentellen Theaters beschäftigt. Auch von meiner Musik aus, die zu immer längeren Klangräumen führte, war es nur eine kleiner Schritt, eines Tages zu sagen: Die müßte man eigentlich speichern und an die Wand hängen. Die Klänge, so fließend wie sie sind, die müßten eigentlich lange bleiben. Zum Beispiel im Intervalltonraum, wo ich mit Intervallen gearbeitet habe, die durch den Raum gehen. Oder ich habe einen Raum gemacht mit Naturtönen, mit Obertönen. Es wird ein Raum zu sehen sein oder zu hören, der besteht nur aus höchsten Frequenzen, der Hochtontaum. Da können Sie erleben, wie Klänge zuerst noch gar nicht da sind, dann die Luft vibriert, aus dem obersten Hörbereich kommen allmählich Klänge zum Vorschein, wurderbare, silberne Klänge.

Am 6. September wird Ihre Installation in der Weserburg eröffnet.

Weil das die oberste Etage ist und so ein kirchenschiffartiges Dach hat, habe ich es KlangHaus genannt. In dem Raum ist nichts drin als die Eisenkonstuktion der Weserburg. Fast unsichtbar wird eine Vielzahl von Lautsprechern eingebaut. Wenn die Zuschauer durchgehen, lösen sie immer neue Klänge aus. Je näher man herangeht, desto lauter und direkter werden sie. Vom ganz tiefen, schwarzen Rauschen bis zum ganz weißen, hellen Rauschen.

Sind ihre Klangproduktionen schön?

Das ist vielleicht das Wichtigste, was ich Ihnen überhaupt sagen kann, was mich selbst anbelangt: Für mich ist es heute erforderlich, daß der Komponist mit den Klängen ganz behutsam umgeht. Daß er sich nicht als Beherrscher der Welt aufspielt, pausenlos eingreift, was nichts anderes zur Folge hat, als daß das Publikum ihm dann auch folgen muß. Im Gegenteil: er soll Freiräume für Klänge schaffen und sich zurücknehmen und nur seine handwerklichen Fähigkeiten einsetzen, um Klänge freizugeben zur Wahrnehmung.

Aber Sie haben die Situation arrangiert, in der ich mich bewege. Insofern bin ich in Ihrer Hand...

Aber nicht in der Hand meines Egos, sondern in der Hand der Klänge, die ich produziert habe. Zum Beispiel die Intervall-Tonreihen: Da habe ich als Komponist nichts andere gemacht als ein bestimmtes Intervall anzuschlagen auf dem Synthesizer und dann gelauscht, was daraus über den Ringmodulator wird. Die Klänge erzeugen von sich aus einen Puls, auch die Obertonspektren habe ich nicht gemacht, sondern nur eingeleitet. Ich zeige das, was ich entdeckt habe.

Sind Ihre Klänge harmonisch?

Zum Teil ja, zum Teil sind sie so komplex, daß sie sich der Beschreibung entziehen. Aber unglaublich schön, sinnlich. Man hat die Möglichkeit, bei den Klängen zu sein, im Raum zu sein, bei sich selber zu sein — ein größeres Vergnügen gibt es gar nicht.

Was bedeutet Ihnen Bremen als Musikplatz?

Das ist schwierig. Ich war zehn Tage in New York. Was einen da erwartet, ist unvorstellbar. Das wäre eigentlich mein Leben gewesen, diese Art von permanenter Kunstsituation. Der Kollege Imgo Ahmels mit Dacapo — wenn das nicht wäre, wäre es zwei Jahre tot zwischen den musica-novaVeranstaltungen. Interview: Klaus Wolschner

Am Freitag um 23 Uhr wird eine Ausstellung von Hans Ottes Arbeit in der Galerie Rabus (Plantage 13) eröffnet mit einem Vortrag Ottes, einem Konzert seiner Piano-Medidation „Buch der Klänge“ und einer Einführung von Dr. Thomas Deecke

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