: Bauboom für Abschiebeknäste im Süden
Seit Mitte Mai benötigen Marokkaner zur Einreise nach Spanien ein Visum/ Grenzkontrollen wurden verschärft ■ Aus Madrid Antje Bauer
Anfang Mai hatten noch einmal Hunderte Verzweifelte versucht, sich durch die Tür zu quetschen, ehe sie sich ganz schloß, hatten ihre Habseligkeiten in ihren Dörfern verkauft, um die Schiffsreise bezahlen zu können, die in eine bessere Zukunft führen sollte. Doch wie schon Tausende vor ihnen waren die weitaus meisten im Wartesaal der Schiffahrtsgesellschaft Transmediterranea in Algeciras gestrandet, wo die spanische Grenzpolizei sie ein paar Stunden festhielt, bis sie wieder in den Hafen von Tanger zurückgeschifft wurden. Seit dem 15. Mai ist auch damit Schluß.
Das Tor, das an diesem Tag gänzlich zuging, war die Südgrenze Spaniens, gleichzeitig Südgrenze der Europäischen Gemeinschaft. Seit diesem Tag benötigen Marokkaner zum ersten Mal seit dem Jahre 1966 wieder ein Visum, um spanischen Boden betreten zu dürfen, und für dieses Visum bedarf es einer ganzen Reihe schwer zu beschaffender Papiere, wie des Nachweises eines festen Arbeitsplatzes in Marokko sowie eines gut wohlgefüllten Geldbeutels. Die spanische Regierung hat mit dieser neuen Maßnahme dem Druck der EG nachgegeben, die in diesem „Einfallstor für Arbeitsuchende aus der Dritten Welt“ zunehmend Gefahr für den eigenen Wohlstand sah.
Nicht, daß es zuvor ein Kinderspiel gewesen wäre, die Grenze nach Spanien zu überschreiten. 1985 hatte die sozialistische Regierung ein neues Ausländergesetz verabschiedet, das zwar euphemistisch „Gesetz über die Rechte und Freiheiten der in Spanien lebenden Ausländer“ hieß, jedoch im wesentlichen zur Kontrolle der bereits dort lebenden Fremden und zur weitestmöglichen Verhinderung ihres zahlenmäßigen Anwachsens angewandt wurde. Von nun an mußten etwa Marokkaner zur Einreise einen Paß mitführen sowie ein Rückfahrtsticket und umgerechnet 90 DM pro geplantem Aufenthaltstag.
Gleichzeitig wurden die Kontrollen an den Grenzen verstärkt und im Land dunkelhäutige Ausländer immer häufiger nach ihren Papieren gefragt. Die neuen Maßnahmen verminderten zwar die Zahl der Einwanderer, konnten den Fluß aus Marokko jedoch nicht ganz stoppen. Neben dem Versuch, über ein reguläres Touristenvisum Einlaß zu erhalten, wurden neue Wege gesucht. So flog im vergangenen Sommer in der Hafenstadt Algeciras ein Netz korrupter Grenzbeamter auf, die — gegen entsprechende Entlohnung — Marokkaner illegal einschleusen ließen. Andere gingen als blinde Passagiere an Bord der Fähren nach Spanien und wurden häufig von der Polizei entdeckt — nicht immer lebend.
Viele Marokkaner heuern im verzweifelten Versuch, Hunger und Repression im eigenen Land zu entgehen, Kapitäne von Nußschalen an, die ihre Boote mit Auswanderern vollstopfen und bei Nacht und Nebel über die Meeresenge von Gibraltar setzen. Die Glücklicheren unter ihnen werden am nächsten Morgen häufig kurz nach ihrer Ankunft von der spanischen Guardia Civil aufgegriffen und sofort wieder abgeschoben. Viele andere geraten in plötzliche Unwetter oder werden von den Kapitänen ausgesetzt. Irgendwann spült dann das Meer ihre Leichen an den Strand des gelobten Landes.
Es gibt bereits einen festen Begriff für diese Einwanderer: „Espaldas mojadas“, nasse Rücken, werden sie in Spanien genannt, genau wie die lateinamerikanischen Grenzgänger, die illegal den Rio Grande nach den USA durchqueren. Die neuerliche Verschärfung der Einreisebedingungen gilt für alle drei Maghrebländer, betrifft jedoch vor allem Marokko. Offizielle Stellen beziffern die Zahl der in Spanien lebenden Ausländer ohne Papiere auf etwa einhundertundtausend, die Hilfsorganisation Caritas, die viele Flüchtlingszentren betreut, schätzt sie über eine halbe Million.
Die überwiegende Mehrzahl unter ihnen sind Marokkaner. Seit dem 10. Juni und bis zum 10. Dezember dieses Jahres haben diese „illegalen“ Ausländer die Möglichkeit, eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung zu erhalten, wenn sie ihre „Verwurzelung“ in Spanien glaubhaft nachweisen können. Die erforderliche Verwurzelung sieht die Ausländerpolizei in erster Linie in der Existenz eines Arbeitsvertrags bzw. der Versicherung eines Arbeitgebers, diesen Ausländer weiterhin beschäftigen zu wollen und zu können.
Eine nicht gerade einfach zu erfüllende Bedingung, denn Arbeitgeber, die illegale Ausländer beschäftigen, tun dies gerade aus dem Bedürfnis heraus, die gewerkschaftlich festgesetzten Löhne zu umgehen und keine Sozialabgaben bezahlen zu müssen.
Die Arbeitsplätze von Marokkanern sind in der Regel zeitlich begrenzt und völlig ohne Absicherung: Sie arbeiten auf dem Bau, als Erntehelfer auf den Plantagen oder als Hausangestellte. Ehe sie ihren billigen Arbeitskräften zu regulären Verträgen verhelfen, ist zu erwarten, daß die Arbeitgeber eher einheimische illegale Arbeiter anstellen, davon gibt es auch genug. Die spanische Polizei wird angesichts der neuen Maßnahmen die Marokkaner noch rabiater als bisher abschieben, gleichzeitig werden die Preise zur Bestechung der Beamten steigen.
Die Anzahl der Abschiebeknäste ist in der letzten Zeit weiter gewachsen. Im Hafen von Algeciras wurde für die Abzuschiebenden ein extra Raum eingerichtet. Und auf den Schiffen, die vom afrikanischen Kontinent in Richtung Europa ablegen, werden die Papiere der Marokkaner in Zukunft doppelt kontrolliert, damit ja keiner durch die Lappen geht. Nur wie das weitere Anschwemmen marokkanischer Leichen verhindern werden soll, hat die Regierung nicht bekanntgegeben.
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