DEBATTE
: Die Kirche und die Frauen

■ Wider einen abstrakten Lebensbegriff und die Fremdbestimmung der Frau

Die „Woche für das Leben“ sollte moderat werden, die katholischen Bischöfe hatten sich Zurückhaltung auferlegt. Kein Glockengeläut, wie es der Eiferer aus Fulda, Johannes Dyba, noch vor einem Jahr durchgesetzt hatte, kein allzu demonstrativer Fundamentalismus. Aber es gelang nicht, zu übermächtig war das Bedürfnis nach Brandmarkung. Das „besonders Gemeine“ an einer Abtreibung bestehe darin, daß sich das ungeborene Kind nicht wehren könne, so der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann. Und weiter: „In dem erbarmungslosen Überfall des fraglos Stärkeren auf das ganz und gar wehrlose Menschenwesen liegt etwas besonders Brutales und Hinterhältiges, das diese Tötung besonders abscheulich macht“.

In diesen Totschlags- und Kriegsmetaphern werden Frauen als hinterhältige Wesen phantasiert, die kaum im Zaum zu halten sind bei ihrem schamlos-abscheulichen Treiben. Es sind die angstbesetzten Phantasmen von der mächtig-destruktiven Frau, aus denen sich seit Jahrhunderten die Unterdrückung der Frauen in der katholischen Kirche speist. Die Bändigung der als bedrohlich wahrgenommenen weiblichen Sexualität wie die Kontrolle über die weibliche Gebärfähigkeit, über diese leiblich-seelische Potenz, die Männer nicht haben, sie sind das (geheime) Zentrum der katholischen Geschlechterpolitik. Entscheidet sich eine Frau, eine Schwangerschaft abzubrechen, so kollidiert dies nicht nur mit dem Glaubensdogma, alles Leben komme von Gott, es kollidiert vor allem mit der Vorstellung, die Frau sei nichts weiter als ein williges und willfähriges Gefäß.

Es gibt nicht „das Leben“

Der Papst scheute bei seinem Polenbesuch nicht davor zurück, den Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft durch die einzelne Frau mit dem staatlichen Massenmord der Nationalsozialisten gleichzusetzen. Hier in Deutschland sind die Bischöfe aus taktischen Erwägungen vorsichtiger, doch der Kern der Argumentation, mit einer Abtreibung werde ein Mensch getötet, ist derselbe. Während kaum ein Politiker es wagen würde, den päpstlichen Vergleich zwischen Holocaust und Abtreibung gutzuheißen, beherrscht der Tötungsvorwurf jedoch maßgeblich die Diskussion um neue juristische Regelungen — nicht zuletzt, weil das Bundesverfassungsgericht sich den katholischen Fundamentalismus in seiner Entscheidung von 1975 zu eigen gemacht hatte.

Für die katholische Kirche beginnt das menschliche Leben mit der Vereinigung von Ei und Samenzelle; für das Bundesverfassungsgericht mit der Einnistung des Eis 14 Tage nach der Empfängnis; für manche Mediziner ist die einsetzende Hirntätigkeit des Embryos entscheidend. Für andere aber beginnt das Leben des Menschen erst mit der Geburt. Es gibt hier keine Gewißheit, und es gibt hier keinen Konsens. Wer an die katholische Auffassung glauben mag, die oder der kann das selbstverständlich tun und sich danach verhalten. Aber es geht nicht an, eine Glaubensfrage zur Grundlage für politische Entscheidungen, die alle Frauen betreffen, zu machen. Zurückzuweisen aber ist der Tötungsvorwurf.

Beim Abbruch einer Schwangerschaft wird ein Prozeß beendet, abgebrochen, aus dem ein Kind hätte entstehen können. Wörter wie Scheitern oder Trennung könnten angemessen sein, um zu beschreiben, was hier passiert. Aber es ist keine Tötung eines lebendigen Menschen, und Frauen sollten sich dieses Wissen nicht ausreden lassen. Ein Embryo oder Fötus kann nicht außerhalb einer Frau existieren, sie bilden eine einmalige und besondere biologisch- soziale Einheit. Selbst konservative Juristen wissen, daß sich der Embryo nicht gegen den Willen der Frau „schützen“ läßt, außer man greift die Würde und körperliche Unversehrtheit der Frau an, verletzt ihr Menschenrecht.

Abtreibung als Akt der Notwehr

In dem Diskurs der Kirchen und der Lebensschützer, aber auch in Rita Süssmuths Äußerungen wird diese Besonderheit geleugnet. In ihrem Lebensschutzgesetz soll gleichermaßen das „ungeborene, das behinderte und das sterbende Leben“ aufgenommen werden. Allein schon die Sprache ist bezeichnend. Es gibt kein behindertes oder sterbendes Leben, es gibt Kinder, Männer oder Frauen mit geistigen oder körperlichen Behinderungen, und es gibt Menschen, die sterben. Nur wenn sterbende oder behinderte Menschen unter dem abstrakten Lebensbegriff entpersonalisiert werden, kann die Gleichung stimmen.

Aber muß, wer gegen Neoeugenik, Embryonenforschung und Gentechnik ist, nicht auch gegen Abtreibung sein? In der katholischen Kirche hat diese Argumentation zunehmend an Bedeutung gewonnen. Sie ist ein Versuch, den GegnerInnen des Paragraphen 218 sehr zeitgemäß ihre Glaubwürdigkeit abzusprechen. Aber der Vorwurf ist nicht haltbar. Fortpflanzungsmedizin und Embryonenexperimente verändern den Menschen — als Gattung und als einzelnen. Folgen und Umfang der Eingriffe sind insgesamt nicht abschätzbar. Diese Forschung entspringt technofetischistischem Denken und basiert auf der Hybris, der Mensch oder besser der Mann könne alles machen, alles herstellen, alles beherrschen. Aber auch dort, wo die Ergebnisse überschaubar sind, bleiben die Ziele nicht wünschbar: Menschenzüchtung und Zuchtwahl. Eine Frau aber, die eine Abtreibung vornimmt, produziert keine weiteren Folgen, sie zieht keinen darüber hinausgehenden Nutzen daraus und schädigt niemanden. Es ist ein Akt, der mit Selbsterhaltung oder Notwehr verglichen werden kann. So die feministische Wissenschaftlerin Renate Sadrozinski.

Noch ein Wort zu dem Begriff Selbstbestimmung. Ein Schwangerschaftsabbruch ist nicht in sich schon ein Akt der Selbstbestimmung. Es geht vielmehr darum, die Entscheidung für oder gegen das Austragen einer ungewollten Schwangerschaft, ohne Fremdbestimmung, ohne staatliche Eingriffe und Bevormundungen treffen zu können. Wohlweislich ist im Verfassungsentwurf des Kuratoriums nicht vom „Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft“ die Rede, wie es noch im Entwurf des Runden Tisches der DDR hieß. Denn damit könnte zum Beipsiel ein Recht auf die uneingeschränkte Inanspruchnahme der Reproduktionstechnologien abgeleitet werden. Gerade in der Auseinandersetzung mit diesen neuen Technologien und den neoeugenischen Aspekten der pränatalen Diagnostik hat in der Frauenbewegung in den letzten Jahren eine intensive Diskussion über das Selbstbestimmungsrecht stattgefunden. Offensichtlich ist, daß der Begriff seinen Wert verliert, wenn damit eine hausgemachte, utilitaristische „Moral“ legitimiert wird, die gipfeln kann in Sätzen wie: Es gehört zu meinem Selbstbestimmungsrecht als Frau, eine Leihmutter zu mieten.

Zwangsberatung ist undemokratisch

Selbstbestimmung, so zeichnet sich ab, ist zu denken im Spannungsfeld zum Begriff Verantwortung, in der Reflexion auf die Folgen meines Handelns für mich und meine Umwelt. Aber gerade für Frauen ist diese Diskussion eine Herausforderung und eine Gratwanderung nach Hunderten von Jahren, in denen sie im Namen der Sorge und Verantwortung für andere auf eigene Wünsche und Bedürfnisse zu verzichten hatten. In der katholischen Antiabtreibungsideologie aber herrscht ein Frauenbild, das Frauen gerade diese Fähigkeit zur verantworteten Entscheidung abspricht. Das „Feindbild der gewissensunfähigen Frau“ (Gerhard Amendt) beherrscht nicht nur die Kirchenoberen, sondern auch Männer und Frauen in Machtpositionen der Rechtsprechung und der Politik. Deshalb kommt der Zwangsberatung in der gegenwärtigen Diskussion diese exponierte Stellung zu. Erst wenn die Frau in der Beratung ein „staatliches Ersatzgewissen“ verpaßt bekommen hat, wird ihr der Schwangerschaftsabbruch zugestanden. Zwangsberatung widerspricht den Grundsätzen einer freien demokratischen Gesellschaft. Sie ist und bleibt nichts anderes als ein Instrument, Frauen zu bevormunden, zu entmündigen und kleinzuhalten. Helga Lukoschat

Zum selben Themenkomplex veröffentlichte Götz Aly in der taz vom 17. Juni: „Die Kirche und die sozialen Bewegungen“