: Iranische Pilger demonstrieren in Mekka
Vier Jahre nach dem Blutbad pilgern iranische Muslime wieder/ Saudische Polizei in Alarmbereitschaft/ Jordanier und Palästinenser boykottieren die Hadsch/ Mekka-Pilger teilen sich nach dem Golfkrieg in Sieger und Besiegte ■ Aus Mekka Ali M. Ramadan
Entgegen allen Sicherheitsvorkehrungen der saudischen Behörden, kam es bei der Hadsch, der Mekka- Wallfahrt der Muslime, in diesem Jahr doch zu Zwischenfällen. Tausende iranischer Pilger demonstrierten am Dienstag nach dem Abendgebet in den Straßen der heiligen Stadt und in der Nähe des „Haram“, einem Areal zu dem die heilige Ka'aba und etliche Moscheen gehören. Schon am Nachmittag hatte es den Versuch einer großen Demonstration gegeben, als iranische Pilger in Hunderten Bussen aus ihren Quartieren in der Ibrahim-Al-Khalil-Straße ankamen. Die Straße ist nur zwei Kilometer von der Ka'aba entfernt, wo saudische Sondereinheiten in Alarmbereitschaft auf jede Bewegung achteten. Die Iraner zogen es vor, Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften zu vermeiden und kehrten in ihre Lager zurück. Anstatt zu einer Massendemonstration versammelten sie sich dann am Abend zu mehreren Splitter-Demonstrationen mit jeweils mehreren tausend Teilnehmern in verschiedenen Teilen der Stadt. Die Demonstranten bewiesen ihre Macht durch ihre bloße Anwesenheit und verzichteten auf politische Slogans. Sie blieben leise und vermieden so Zusammenstöße mit den saudischen Sicherheitskräften.
1987 war es in Mekka zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen, bei denen 400 meist iranische Demonstranten von saudischer Polizei getötet wurden. Saudi-Arabien hatte einige Monate danach die diplomatischen Beziehungen zum Iran abgebrochen. Das Verhältnis der beiden Staaten normalisierte sich erst im März dieses Jahres wieder.Nach den Demonstrationen am Dienstag war die Lage gespannt. Tausende Sondereinheiten der saudischen Polizei drängten in den Haram-Bereich. Die Pilger wurden angewiesen, dieses Gebiet am Abend zu meiden, weil weitere Demonstrationen befürchtet wurden. Der Haram-Bereich hat 24 Eingänge und sieben Minarette von je neunzig Metern Höhe, außer dem Hauptinnenhof besteht er aus zwei weiteren Etagen. In seinen Moscheen finden mehr als eine Million Menschen Platz. Entgegen den Befürchtungen der Saudis kehrten die Iraner in ihre Übernachtungsareale zurück und die Gebete wurden ausgeführt, ohne das nennenswerte Zwischenfälle bekannt wurden.
Die Saudische Regierung hatte für den iranischen Außenminister Ali Akbar Welajati, der sich zur Zeit in Saudi Arabien aufhält, einen Besuch der heiligen Stätten vorbereitet. Unter anderem, um ihm die Sicherheitskräfte vorzuführen und deren Entschlossenheit, jede Demonstration iranischer Pilger niederzuschlagen. Die Iraner sollten sich das Schicksal des Irak vor Augen halten, erbosten sich viele Saudis über die Pilger aus Teheran. Ein saudischer Fanatiker brüllte einer Gruppe Iraner zu: „Ja zu Muhammad — Nein zu Ali!“ Ein Anderer erklärte ihnen: „Wenn ihr Ali verehrt, müßt ihr nach Nadschaf und Kerbala gehen.“ Die beiden heiligen Stätten der schiitischen Iraner liegen im Irak. Es ist nicht klar, ob die Demonstration am Dienstag von den Pilgern selbst ausging oder ob sie von der Teheraner Regierung dazu aufgefordert wurden. Die iranische Regierung hatte vor der Hadsch ihre Pilger öffentlich aufgefordert, nichts zu unternehmen, was das Ansehen Irans schädigen könne. Einige Tage vor Beginn der Wallfahrtsperiode war der saudische Außenminister Saud al-Faisal nach Teheran gereist um die Angelegenheit zu besprechen. In den letzten Jahren war die Anzahl der iranischen Pilger von den Saudis auf 50.000 begrenzt gewesen, worauf die Iraner beschlossen hatten, die Hadsch ganz zu boykottieren. Dieses Jahr dürfen als Ergebnis der Entspannung zwischen den beiden Staaten mehr als 120.000 Iraner nach Mekka pilgern. Sie machen mehr als zehn Prozent der gesamten Pilger aus. Die meisten Wallfahrer kommen dieses Jahr aus asiatischen Staaten, wie Indonesien und Pakistan, etliche auch aus der Türkei. Wegen der saudischen Anti-Irak-Politk während des Golfkriegs ist die Zahl von arabischen Pilgern stark gesunken. Palästinenser und Jordanier boykottieren die Hadsch ganz. Die Zahl der Jemeniten sank von 15.000 im Vorjahr auf 500, weil sie dieses Jahr den saudischen Behörden Gebühren zahlen müssen, die zusammen bis zu 600 Dollar kosten können.
Die Pilger in Mekka teilen sich dieses Jahr in die Gruppen der „Sieger“, deren Staaten auf Seiten der Anti-Irak-Koalition standen und der „Besiegten“. Zu letzteren gehört auch eine kleine Gruppe von etwa tausend Irakern, die Gespräche mit anderen Nationalitäten vermeiden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen