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Die Hartnäckigen unter der Plastikplane

Im Essener Stadtteil Altenessen sitzen zwanzig Hausbesetzer unter Plastikplanen/ Sie wurden von der Polizei aus einem leeren Haus geräumt/ Sie wollen weder ins Obdachlosenasyl noch in Sozialwohnungen: Sie wollen zusammenbleiben  ■ Aus Altenessen B. Markmeyer

Die „kirchentagsverträgliche Lösung“, an der die Essener Amtsleiter und Dezernenten angeblich gebastelt hatten, bestand darin, das besetzte Haus an der Stauderstraße nicht schon während der friedliebenden, evangelischen Großveranstaltung, sondern erst zwei Tage nach dem Abschlußgottesdienst zu räumen. Doch sie sind immer noch da, die Essener HausbesetzerInnen.

Sie haben ihre Zelte zwischen jungen Birken aufgeschlagen. Wo Birken stehen im Ruhrgebiet, da stand meistens vorher etwas weniger Idyllisches. Hier, jenseits des alten Malakowturms der Zeche Carl in Altenessen, hat früher eine Kokerei den Boden vergiftet. „Allzu lange“, sagt Ralf, „ham se uns gesagt, sollen wir hier nicht bleiben, weil dat eben alles verseucht is hier.“ Sie würden denn auch sofort ihre Zelte abbrechen, meint Carola und nimmt sich noch eine Flasche Bier, „wenn die uns irgendein altes Haus gäben, wo wir zusammenbleiben können. Wir würden das schon selber renovieren, Handwerker ham wir genug.“

Nur die Hunde freuen sich über die Unterkunft

Ende Mai besetzte Carola mit etwa dreißig anderen das seit drei Jahren leerstehende Haus an der Stauderstraße in Altenessen. Zwölf Tage später wurden sie wieder geräumt. Jetzt sitzen sie unter einer schwarzen Plane, die den Juniregen nur notdürftig abhält, auf alten Teppichen und schlafen in Campingzelten. Einstweilen können nur die Hunde, die über den weitläufigen Kalkschotterplatz und durch das Birkengestrüpp hinter der Zeche Carl toben, mit ihrer neuen Unterkunft zufrieden sein. Die etwa zwanzig campierenden BesetzerInnen haben Schnupfen, kochen ihr Kaffeewasser über einem Lagerfeuer, kriechen abends in klamme Schlafsäcke und verbringen ihre Zeit damit, die Stadt Essen zu Verhandlungen über eine neue Unterkunft zu bewegen. „Zuständig ist da allerdings am liebsten niemand“, sagt Sven.

Die Aussichten für die BesetzerInnen stehen schlecht. Selbst eine Zwischennutzung eines der leerstehenden städtischen Häuser kommt für den Leiter des Essener Liegenschaftsamts, Hartmut Kästel, „überhaupt nicht in Frage, weil wir das Problem damit nur um ein bis zwei Jahre verlagern“. Unterkunft im Obdachlosenasyl hätte die Stadt ihnen angeboten, sagen die ZeltbewohnerInnen an der Zeche Carl, die heute ein Kultur- und Bildungszentrum ist. „Und auf dem Wohnungsamt“, schimpft Carola, „erzählen sie uns, wir sollen ein halbes Jahr warten, weil wir keine akuten Fälle sind.“ Bei Jugendlichen wird gern davon ausgegangen, sie könnten bei Eltern oder Freunden Unterschlupf finden. Von den dreizehn Leuten, die in das Haus Nr. 11 an der Stauderstraße in Altenessen-Nord einziehen wollten, sind derzeit zehn obdachlos.

Zum Beispiel Ralf, der seit sechs Monaten ohne Arbeit ist. Er hat noch eine Ausbildung als Bergmann gemacht auf der inzwischen geschlossenen Zeche „Nordstern“ in Gelsenkirchen: „1.040 Meter tief“. Heute trägt er seine Haare unter einem weinroten Käppi zu kleinen Zöpfen geflochten. Von zu Hause ist er weg, und immer wieder bei Bekannten unterkriechen will er auch nicht mehr. Geärgert hat sich Ralf, „daß die uns auf der Bezirksvertretungssitzung gleich mit der Hafenstraße in einen Pott geschmissen haben und wir überhaupt nichts sagen durften“.

Am Dienstag letzter Woche krabbelte früh um acht Uhr ein Polizist über eine Leiter in den ersten Stock des Hauses Stauderstraße 11. Die Stadt hatte das Erdgeschoß lange vor der Besetzung zumauern lassen. Das polizeiliche Räumkommando traf die BesetzerInnen im Schlaf. Sie ließen sich ohne Widerstand zur Wache mitnehmen und haben jetzt alle Strafanzeigen wegen „schweren Hausfriedensbruchs“ am Hals.

Sie solle wenigstens diese Anzeigen zurücknehmen, fordern die Grünen von der Stadt Essen, da das Haus jetzt abgebrochen wird. Zwölf Tage verbrachten anfangs um die dreißig BesetzerInnen im Gebäude Nummer 11. Die Altenessener Bezirksvertretung gab zu, daß die Bausubstanz so marode nicht war. Das Dach wurde erst vor wenigen Jahren neu eingedeckt, die sanitären Anlagen waren intakt, nur Wasser gab es keines mehr. Stehengeblieben war das leere Haus, für das seit 1988 eine Abbruchgenehmigung vorliegt, allein deshalb, weil die Leitungen für die Wasser-, Strom- und Gasversorgung des Nachbarhauses, das einem CDU-Ratsherrn gehört, durch den Keller der Nr. 11 geführt werden. Da liegen sie auch immer noch. Der Stadt wird der Abbruch jetzt teuer zu stehen kommen, denn Bagger können nicht eingesetzt und die Leitungen müssen durch neue Mauern geschützt werden. Die NachbarInnen in der Stauderstraße sind froh über den Abbruch. Die BesetzerInnen, so CDU-Ratsherr Dieter Geeven, „haben rumgegröhlt und waren für uns alle eine Belästigung“.

Die letzten Nutzungsverträge, die die Stadt Essen mit früheren BesetzerInnen über ein Haus an der Vogelheimer Straße abgeschlossen hat, laufen im August dieses Jahres aus. Für „Obdachlose und Leute“, so Sven unter der schwarzen Plane an der Zeche Carl, „die nur siebzig bis hundert Mark für ein Zimmer zahlen können“ und trotzdem weder im Obdachlosenasyl noch in kleinen Sozialwohnungen unterkriechen wollen, ist in der Stadt kein Platz mehr.

Im Mai erklärte die Dortmunder Fachhochschule, daß Obdachlosigkeit unter Jugendlichen im Ruhrgebiet stark zunehme. Gegenüber dem letzten Jahr seien schon mehr als doppelt soviele BewerberInnen für das von Fachhochschule und Arbeitsamt getragene Projekt „Sozial betreutes Wohnen“ obdachlos. Die BesetzerInnen von der Stauderstraße haben daran erinnert, aber sie haben nichts davon. Nicht anders erging es übrigens den Bochumer HausbesetzerInnen, die während des Kirchentags ein leestehendes Verwaltungsgebäude in der Innenstadt besetzt hatten. Gestern morgen um halb zehn kam die Polizei. Eine halbe Stunde später war das Haus leer. Die BesetzerInnen gingen ohne Widerstand.

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