: Der Golfkrieg: Viele Fragen, viele Antworten
■ Eine publizistische Nachlese zum Golfkrieg auf dem deutschen Büchermarkt/ War es Saddams Krieg oder war es der Krieg des amerikanischen Präsidenten Bush?/ Diskutiert wird immer noch Enzensbergers Gleichung „Saddam = Hitler“
Warum bewegte gerade der Golfkrieg, der im Vergleich zum Vietnam- oder Afghanistankreig von relativ geringer Dauer war, so sehr die Gemüter? Warum erwartete man besonders hier eine Apokalypse? Nicht eine, sondern gleich mehrere Antworten versucht der Band Ich will reden von der Angst meines Herzens (Autoren und Autorinnen zum Golfkrieg) zu geben. Diese Veröffentlichung bildet ein echtes Kaleidoskop. Sie versteht sich auch eher als Ansinnen denn als Antwort. Einige Autoren, insbesondere Hans Sahl („Ode an Israel“), erinnern zur rechten Zeit daran, daß Saddams wie immer großsprecherische Drohung, Israel zu vernichten, tatsächlich eine logische Verknüpfung zu Hitler und dem Holocaust gestattete; eine Verknüpfung, die Christian Ströbele nur zwischen Israels Palästina-Politik und Saddams Scud-Raketen in den Sinn wollte.
Als quasi obszönes Vergessen wird diese Haltung in Liebesgrüße aus Bagdad angeprangert. Der Band beginnt mit der inzwischen reichlich bekannten Invektiven Henryk M. Broders, die einige schmerzlich- richtige Feststellungen trifft, die im übrigen von anderen Autoren aufgenommen werden. So hält Klaus Bittermann im gleichen Band den Pazifisten vor: „... Manchmal hatte man den Eindruck, als ob Saddam Hussein in ihrem Vokabular gar nicht existieren würde.“ Desgleichen auch Ralph Giordano. In diesem Band ist auch der heftig kritisierte 'Spiegel‘-Essay Enzensbergers abgedruckt.
„Natürlich war es ein Krieg der USA“
Eine gelungene Mischung subjektiver und objektiver Betrachtungen über die Hüben- und Drübenfront bietet die Veröffentlichung Krieg für Frieden? Wenig überzeugend allerdings die zu vereinfachende Gleichung, die André Gunder Frank für die US-Politik trifft: Rezession = Krieg. In seinem sehr nuancierten Beitrag in Krieg für Frieden? trifft Detlev Claussen wohl den Kern mit dem Satz: „Die Aggression Saddams gegen Kuwait muß aus sich selbst heraus verstanden werden — Saddam Hussein besitzt kein Stück mehr Legitimation, ein Volk zu regieren, als ein altes Fürsten- oder Könighaus.“ (S. 135)
Auf eine einfache Formel gebracht: War dieser Krieg, wie es im Titel des Buches von John Bulloch und Harvey Morris heißt, Saddams Krieg, oder war es der Krieg des George Bush? Die Antwort vieler Autoren könnte wohl so zusammengefaßt werden: „Natürlich war es der Krieg der USA, haben die USA doch immer schon den Krieg als Mittel zur Behauptung ihrer wirtschaftlichen Vorrangstellung eingesetzt.“ Meist muß man dabei feststellen: Das Phänomen Saddam Hussein wird allenfalls in einem Nebensatz erwähnt, um sich dann den USA zuzuwenden oder gegen die Analogie zwischen Saddam und Hitler zu wettern. Nur in Krieg für Frieden? sind Versuche unternommen worden (so Volker Perthes über den vom Irak erhobenen „historischen“ Anspruch auf Kuwait), sich tatsächlich auf die spezifische Lage im Nahen Osten einzulassen.
Das andere Extrem bilden Veröffentlichungen wie Krieg und Frieden am Golf, eine panoramierte Themenaufnahme der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, sowie Die Golfregion in der Weltpolitik, herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. Die Autoren sind zum Teil identisch. Eine in der Diskussion unter Linken auffällige Informationslücke füllen in Krieg und Frieden am Golf Volker Perthes Beitrag („Die Fiktion der Einheit: Koalitionen und Konflikte im arabischen Raum“) und Thomas Bierschenk („Die Golfstaaten: politische Stabilität trotz ökonomischem Wandel“).
Zumal Letzterer auf ein scheinbares Paradoxon hinweist: Wie kommt es, daß feudalistische Staaten wie Saudiarabien und Kuwait mit den Modernisierungsfolgen — oder zumindest bisher noch — alles in allem weniger gewaltsam fertig werden als etwa der Irak oder auch Syrien? Die theoretisch befriedigende Antwort glaubt Peter Pawelka (in Krieg und Frieden am Golf und Die Golfregion in der Weltpolitik) mit seinem Konzept des Rentierstaates geben zu können. Der Begriff ist der Marxschen (und Ricardoschen) Arbeitswerttheorie entnommen, wo der Rentenbegriff primär dazu dient, die Einkommensentstehung aus dem Bodenbesitz statt aus der gesellschaftlichen Arbeit zu erklären. Unter den Bedingungen des Rentierstaates sei das in den Massenmedien als „verrückt“ hingestellte Verhalten Saddam Hussseins durchaus erklärbar.
Ohne Zweifel gehört das Vorhandensein einer „Ölrente“ zu den wichtigen Erklärungsgrundlagen des politischen Geschehens in den Golfstaaten. Aber daraus alle Verhaltensweisen ableiten zu wollen, grenzt an Akrobatik, so sie sich auch wissenschaftlich nennen mag. Nur zwei Beispiele. Auf Seite 132 heißt es: „Jetzt (nach dem Sturz des Diktators Kassem 1963, d. Autor) setzten sich Offiziere durch, die ihre persönliche Macht auf Verwandtschaftsbeziehungen und kommunalistische Bindungen (Ethnien, Konfessionen etc.) stützten.“
Das ist in der jüngeren irakischen Geschichte freilich immer der Fall gewesen; nicht anders bei Kassem selbst, der sich vor allem auf die Schiiten stützte. Zum anderen Seite 135: „Dies spiegelte die Entfremdung einer Rentierklasse wider, die auf keine politische Koalition mehr angewiesen war...“ Die politische Koalition hat ihren Ort — wenn auch verschoben —, wie immer seit dem Bestehen des Staates Irak, im sunnitisch dominierten Gebiet um die Hauptstadt Bagdad, das sich wie ein eigenes Zentrum zur kurdisch und schiitischen Peripherie verhält. So aufs Erklärungsganze getrieben, eilt der Rentier-Staat heim in Läppischland.
Die beiden Neuauflagen von Bassam Tibis Werken erweisen sich vor dem Hintergrund der Heimatfrontdiskussion als äußerst sinnvoll. Die Antwort ist im Untertitel von Vom Gottesreich zum Nationalstaat schon vorweggenommen: „Regionale Eigendynamik und Großmachtinteressen“. Am Beispiel des Sechstagekrieges 1967 und des Oktoberkrieges 1973 wird gezeigt, daß weder der Ost-West- noch der Nord-Süd-Gegensatz zur Erklärung der Konflikte im Nahen Osten ausreichen, sondern es regionale Konfliktursachen gebe, die sich der Kontrolle der Großmächte entzögen. Diese Feststellung scheint fast zu selbstverständlich, um besonders beachtet werden zu müssen — mit der Folge, daß sie bei theoretischen Erklärungsmodellen fast immer unbeachtet bleibt.
Der einzige deutsche Autor, der sich mit dem Phänomen Saddam Hussein befaßt, ist Henner Fürtig. In knapper Form werden in Saddam Hussein — der neue Saladdin? einige Aspekte abgehandelt: die Erinnerung an die vergangene Größe, die traumatischen Erfahrungen des politischen Panarabismus am Ende des Osmanischen Reiches, die konkurrierenden Ideologien des Nasserismus, des Baathismus und des islamischen Fundamentalismus, der Imperialismus des Nordens und schließlich das geschichtliche Rollenverständnis Saddam Husseins.
Es sei nebenbei bemerkt, daß Henner Fürtig mit einigen Formulierungen Enzensbergers Einsteinscher Gleichung „Saddam = Hitler“ und gar seinem „Todeswunschkonstrukt“ das Wort zu reden scheint. Saddam sei „im Fall der Ausweglosigkeit seiner persönlichen Situation durchaus in der Lage..., den Selbstmord des ganzen Landes in Erwägung zu ziehen“. (S.105) und neben dem Koran bezeichne er Mein Kampf als seine wichtigste Lektüre. Eine Feststellung, die Enzensberger seinem in Liebesgrüße aus Bagdad Aufsatz unter Berufung auf eine andere Quelle als Rechtfertigung anfügt. Sind seine Thesen deshalb weniger indiskutabel? Außer Frage steht, daß der Vergleich zwischen Saddam und Hitler als moralische Rechtfertigung für den Krieg mißbraucht wurde. Empfohlen werden vor allem die Kapitel 3 und 4 in Bassam Tibis Vom Gottesreich zum Nationalstaat. In seinem Vorwort zur Neuauflage begründet der Autor die Aktualität des zuerst 1971 al Dissertation erschienenen Buchs: „Saddam Hussein beruft sich auf den Arabismus; sein ideologischer Ziehvater ist Sati al- Husri, dem das vorliegende Buch zwei Kapitel widmet.“ Dieser al- Husri war im 1932 unabhängig gewordenen Irak zuerst Inhaber des Amtes eines Generaldirektors für Erziehung, aus dem später ein Ministerium wurde. 1941 unterstützte er den Putsch des Raschid Ali Gailani. Einer der Hauptakteure dieser Machtergreifung war auch der Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husaini, der im Kampf gegen die „perversen“ westlichen Demokratien Frankreichs und Englands und natürlich gegen das „internationale Judentum“ bedingungslos Hitler unterstützte.
Den Begriff der Nation übernahm al-Husri von Fichte. Der Panarabismus erkannte im Deutschland Fichtes das Spiegelbild der eigenen Ausgangslage. Analogien gab es reichlich. Fichtes Reden galten einer Nation, die es noch nicht gab; er begründete ihre Eigenart in der Sprache, die er zur lebendigen, überlegenen Ursprache erhob, wie es unter anderem die „Welttat“ (Fichte) der Lutherschen Bibelübersetzung belege.
Solche Analogien ließen die arabische Situation als ein Duplikat der deutschen erscheinen: einheitliche Sprache, Zersplitterung in einer Vielzahl von Regionen in dem durch den Islam geheiligten Osmanischen Reich, Sprache des Korans, ja den Gegensatz zu den Mandatsmächten Frankreich und England lieferte das Pendant der Fichteschen „Ausländerei“, mit der die Eigenheit der deutschen Nation gegenüber England und Frankreich hervor- und über sie emporgehoben werden sollte.
Samir Shawkat, ein Nachfolger al-Husris, sieht die Stärke der Nation im „rauhen Leben“ und in der „Vervollkommnung der Kunst des Sterbens“. Solche Analogien materialisieren sich schließlich auch in den Fakten. Nach dem Modell der faschistischen Jugendverbände Italiens und der Hitlerjungend gründete Shawkat die Jugendorganisation Futuwwa. Daraus geht im Irak die Baath-Partei hervor. „Wonach die Araber sich sehnen, ist ein arabisches 1871.“ (S. 115)
Im weltpolitischen Maßstab aber erweist sich die Analogie zwischen Saddam und Hitler nur sehr bedingt tauglich, in puncto militaristischer Massenmobilisierung erscheint sie über weite Strecken sehr nützlich.
Wie diese irakische Geschichte und der Stoff, aus dem sich die irakische Gesellschaft webt, mit der ganz persönlichen Biographie Saddam Husseins verknüpft ist, kann man in John Bullochs und Harvey Morris' Saddams Krieg, vor allem jedoch in Saddam Hussein von Judith Miller und Laurie Mylroie nachlesen. Von allen Büchern, die sich direkt auf die Golfkrise beziehen, ist letzteres das herausragende, weil die Erklärungselemente nicht nur aufgelesen, sondern auch zueinander in Bezug gestellt werden. Das Buch enthält weiter einen Abriß des Krieges mit dem Iran, eine Bewertung des „historischen Anspruchs“ des Iraks auf Kuwait, einen historischen Rückblick auf die Geschichte der Erdölkonzessionen und schließlich eine Kritik an der Politik von George Bush.
Auch wenn es nicht direkt den Golfkrieg betrifft, wäre es unverzeihlich, nicht das absolut empfehlenswerte Buch Von Beirut nach Jerusalem von Thomas L. Friedman zu erwähnen. Im dritten Abschnitt ist auch von den Diktatoren Assad und Saddam Hussein die Rede. Friedmans Buch ist ein reflektierter Erlebnisbericht über seine Tätigkeit als Korrespondent der 'New York Times‘ im Libanon und in Israel. Es ist nicht mit dem Anspruch auf strikte Wissenschaftlichkeit geschrieben, sondern weitaus besser: dramatisch, engagiert, um Verstehen ringend.
Pierre Salingers und Eric Laurents Krieg am Golf-Buch schließlich ist als Bestseller angelegt worden und so auch angekommen. Es besticht durch Präzision bis ins kleinste Detail: die Farbe von Saddams Krawatte, das Kopfnicken Colin Powells, Bush's ärgerliche Miene. All dies ist wirklich bestechend. Doch die Detailtreue überdeckt erhebliche Beweislücken und grobe Schnitzer. Von Rarik Asis heißt es zum Beispiel: „... Asis mit seinen starken Brillengläsern und seinem kräftigen Schnauzbart ist einer der wenigen Christen — sein wirklicher Vorname ist Johanna — in einer Führungsposition seines Landes.“
Verrannt, weil es ein Renner werden sollte
Solche Pointen zu bringen, daß ein viriler, vierschrötiger schnauzbärtiger Sechziger mit Vornamen ausgerechnet Johanna heißt, zeichnet den Bestsellerautor aus, der seinen Lesern die Lektüre angenehm zu machen versteht. Nur: Tarik Asis heißt eigentlich Michael Yuhannah, der Vorname ist also Michael. Oder auf Seite 129 lesen wir: „... am Vorabend der irakischen Offensive gegen die Halbinsel Fao, mit der der Krieg gegen den Iran seinen Anfang nahm...“ Die Halbinsel Fao gehört zum Irak. Sie wurde vom Iran erobert und 1986 vom Irak zurückerobert, im 7. Kriegsjahr. Die Liste der Schnitzer ließe sich fortsetzen.
Erwähnt sei schließlich noch ein letztes Fragezeichen. Offenbar wollen die beiden Verfasser zeigen, daß die USA im Bunde mit Kuwait den Irak zum militärischen Schlag provozieren wollten. Sie präsentieren dafür das einzige Dokument eines sogenannten „Geheimdossiers“. Das Dokument wird einmal im Text zitiert (S.48): „Wir stimmen mit der amerikanischen Seite in der Einschätzung überein, daß es wichtig ist, von der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Irak zu profitieren, um Druck auf dieses Land auszuüben mit dem Ziel, eine gespannte Situation über den Grenzverlauf zu provozieren. Die CIA hat uns ihren Standpunkt über die geeigneten Mittel vorgetragen, diesen Druck aufrechtzuerhalten.“
Allerdings lautet derselbe Passus im Anhang: „Wir sind mit der amerikanischen Seite übereingekommen, daß es wichtig wäre, die Lage im Irak auszunutzen, um die Regierung dieses Landes zu veranlassen, unsere gemeinsame Grenze festzulegen.“ (S.222) Die Doppelversion wird leider nicht erklärt. Bei genauer Lektüre drängt sich bei diesem Buch der Eindruck auf, hier haben sich zwei verrannt, weil sie einen Renner schreiben wollten. Robert Detobel
Ich will reden von der Angst meines Herzens, Autoren und Autorinnen zum Golfkrieg, Luchterhand, Frankfurt a.M. 1991;
Henryk M. Broder, Hans Magnus Enzensberger u.a., Liebesgrüße aus Bagdad, Edition Tiamat, Berlin 1991;
Gert Krell und Bernd W. Kubbig (Hrsg.), Krieg und Frieden am Golf, Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 1991;
Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Die Golfregion in der Weltpolitik, W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart/ Berlin/Köln 1991;
Henner Fürtig, Saddam Hussein — der neue Saladdin? Union Verlags-Anstalt, Berlin 1991;
Bassam Tibi, Vom Gottesreich zum Nationalstaat, aktualisierte 2. Auflage, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1991;
Bassam Tibi, Konfliktregion Naher Osten, aktualisierte Auflage, Beck'sche Reihe, München 1991;
John Bulloch/Harvey Morris, Saddams Krieg, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1991;
Judith Miller/Laurie Mylroie, Saddam Hussein, Greils Verlag, München 1991;
Thomas L. Friedman, Von Beirut nach Jerusalem, Moewig Verlag, Rastatt 1990;
Pierre Salinger/Eric Laurent, Krieg am Golf, Hanser Verlag, München 1991.
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