PRESS-SCHLAG: Maus und Elefant
■ Das Farmteam von Juventus Turin: Bayern München
Uli Hoeneß beherrscht das Jonglieren mit den Millionen wie kaum ein anderer im deutschen Fußball. Mal fordert er eine Milliarde für die Fernsehrechte an der Bundesliga, mal phantasiert er von den ungeahnten Möglichkeiten des Pay-TV, mal blättert er locker ein erkleckliches Sümmchen für einen Spieler auf den Tisch, der dann eine Saison lang die Reservebank wärmen darf. Er ist der Tycoon des deutschen Fußballs — geschmäht, gehaßt, geachtet und gefürchtet. Wenn er naht, versteckt die Konkurrenz schnell ihre talentierten Schäfchen oder versucht wenigstens, die Preise in die Höhe zu treiben. Umsonst! Der Pate der Bundesliga spürt sie alle auf und kauft unbarmherzig ein.
Angesichts der finanziellen Großmacht italienischer Fußballclubs schrumpft jedoch auch einer wie Hoeneß zum kleinen Wurstel und wirkt plötzlich wieder wie der Provinzbub aus Ulm, der zum erstenmal die große weite Welt bestaunen darf. „Schockiert“, so ließ er verlauten, sei er darüber gewesen, „wie die Herren von Juventus mit den Scheinen umgehen.“ Diese waren nach München gekommen, um den Transfer des Abwehrspielers Jürgen Kohler zu bewerkstelligen, und traten derart klotzig auf, daß selbst Uli Hoeneß angst und bange wurde. „Da kann's einem grausig werden“, entsetzte er sich und gestand untypische Hilflosigkeit ein: „Ich kämpfe wie eine Maus gegen einen Elefanten.“
Grausig wird es in der Tat für die Bayern. Bislang dafür berüchtigt, nahezu jeden Spitzenkicker der Liga früher oder später an die Isar zu locken, drohen sie nun plötzlich zum Farmteam von Juventus Turin zu verkommen. Stefan Reuter ist schon über die Alpen entfleucht, Jürgen Kohler kann angesichts des fetten Gehalts, das ihm die Turiner bieten, wahrscheinlich nur noch mit Gewalt gehalten werden, und selbst Stefan Effenberg macht sich Hoffnungen — wohl weniger aufgrund seiner fußballerischen Leistungen als wegen seines Blondschopfes. Seit Helmut Haller glauben die Italiener nämlich steif und fest, daß ein solcher übermenschliche Kickkünste verleihe.
Hintergrund der südländischen Hamsterkäufe ist die eklatante Knappheit von Stars der ersten und zweiten Garnitur auf dem internationalen Markt. Entweder sie weilen schon in Italien oder sind nicht zu kriegen. Südamerika ist leergeräumt, Afrika noch nicht en vogue, die Jugoslawen sind zickig, bleibt also die Bundesliga. Was aus dem Land des Weltmeisters kommt, kann schließlich nicht ganz schlecht sein, auch wenn Leute wie Berthold, Häßler, Riedle oder Waas bislang nicht gerade Bäume ausrissen. Wenn's nicht klappt, ist's auch nicht weiter tragisch. Irgendein Abnehmer findet sich immer, und schon ist Platz für die neue Lieferung. Hauptsache, der mercato , der heißgeliebte Spielermarkt, vibriert und die Presse hat etwas zu schreiben, auch wenn ihre Verlautbarungen auf diesem Gebiet in der Regel ungefähr so viel wert sind wie ein Versprechen von Helmut Kohl.
Absolute Superstars gibt es kaum noch. „Die ausländischen Champions, die nur mit ihrem Namen bereits Spektakel versprachen, sind ausverkauft“, klagt der 'Corriere della Sera‘, „sie existieren nicht mehr.“ Platini, Maradona, Rummenigge, Zico, Gullit, van Basten, Krol — alles Schnee von gestern. Der letzte Charismatiker, Paul Gascoigne, hat sich selbst auf Eis gelegt, was bleibt, sind die „Dreiviertelstars“ ('Corriere‘), also jeder, der irgendwo, vorzugsweise in Deutschland, mal ein Nationaltrikot erhaschen konnte. Thomas Doll vom Hamburger SV beispielsweise, dem Lazio Rom auf der Spur ist, Ulf Kirsten, der nach Verona geht, oder eben einer wie Effenberg, der sich nach zwei, drei ansprechenden Partien und einem kurzen Länderspielauftritt bereits als Voll-Italiener fühlt.
Am liebsten bedienen sie sich bei den Bayern, die auf dem besten Weg sind, zum Talentschuppen der italienischen Liga zu avancieren. Mit ihren Transfererlösen kaufen sich die Münchner das Beste, was die Bundesliga zu bieten hat, dann wird ein bißchen daran gefeilt und schwupps — ab nach Italien. Dafür gibt es wieder einen Haufen Geld und der Reigen beginnt von vorne. Europacups lassen sich so freilich nicht gewinnen.
Das hat auch Trainer Heynckes scharfsichtig erkannt: „Natürlich werden wir nie eine absolute Spitzenmannschaft, wenn immer das Herzstück herausgebrochen wird.“ Was aber dann? Möglicherweise tatsächlich das, was Präsident Scherer ironisch prognostiziert hat: „Eine Import-Export- Firma“. Matti
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