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Die beste Vorstellung im Bonner Wasserwerk

■ Monatelang herbeigeschrieben, heftig diskutiert und schlecht vorbereitet erlebte die Bonner Bühne eine Sternstunde. Ob es die letzte war?

Die beste Vorstellung im Bonner Wasserwerk Monatelang herbeigeschrieben, heftig diskutiert und schlecht vorbereitet erlebte die Bonner Bühne eine Sternstunde. Ob es die letzte war?

VON GERD NOWAKOWSKI

Seltsam „nüchtern“, erschien Bundestagspräsidentin Süssmuth der einzige Tagesordnungspunkt, als sie ihn ankündigte; zu nüchtern, nicht den Emotionen angemessen, die die Abgeordneten seit Wochen umtreibt: „Beratung der Anträge zum Parlaments- und Regierungssitz“. „Jeder weiß, worum es heute geht“, fügte die Präsidentin hinzu und entsprach mit ihrer ganz unpräsidialen Ausdrucksweise den Gefühlen im Bonner Wasserwerk. Heiterkeit schlug Frau Süssmuth entgegen, als sie dem Plenum einen „guten Morgen“ wünschte, wohl wissend, daß die Fraktionen bereits vor der Sitzung zusammengefunden hatten und mancher eine lange Nacht der letzten und vergeblichen Konsenssuche hinter sich hatte. Daß man gescheitert war, Brücken zwischen den Entweder-oder-Positionen der Befürworter Bonns und Berlins zu schlagen, bedauerten etliche Abgeordnete am Rande der Versammlung oder, wie Innenminister Schäuble, in ihrer Rede. Bei manchem schwang Resignation mit. Dennoch, so schien es, überwog die Erleichterung, daß dies Gerangel, das nicht wenige zunehmend als Beschädigung des parlamentarischen Ansehens empfanden, endlich mit einer Entscheidung beendet werden sollte. Nach dem Konsens gesucht zu haben, bleibe dennoch verdienstvoll, sagte Innenminister Schäuble, aber vielleicht sei es auch gut, nun zu entscheiden. „Wenn die Mehrheit sich schon weigert, das Volk entscheiden zu lassen, machen wir uns vollends lächerlich, nun die Entscheidung zu vertagen“, hatte es tags zuvor der Berlin-Befürworter Thierse (SPD) ausgedrückt. Voll wie selten zuvor war das Wasserwerk zu Beginn der Debatte; selbst auf der Pressetribüne wurden Sitze freigehalten, um wirklich allen 662 Abgeordenten Platz zu bieten. Wer erwartet hatte, die Debatte würde lediglich pflichtgemäß geführt werden, weil alles gesagt ist, wurde überrascht. Jenseits der in den letzten Tagen betriebenen Abschätzungen über die Stärke der Lager, der Meldungen, darüber, wieviele Abgeordnete schon als fest entschieden zu gelten hätten und ob bei SPD wie auch bei CDU/CSU die Bonner die Nase vorne hätten, war zu verspüren, welches Gewicht dem Wort zugemessen wurde, die Entscheidung in letzter Stunde zu beeinflussen. Ein Pro- Redner, ein Contra-Beitrag, so hatte der Ältestenrat die Debatte gestrickt, zugleich die Fraktionen berücksichtigend. Die meisten Sternstunden des Parlaments sind erst später dazu geworden; aber daß sich dieses Parlament, abseits des gewohnten sturzlangweiligen und kleinkrämerischen Gemeinwesenvorteilsgeschachere in einer ernsthaften Weise zu einer politischen Debatte aufschwang, das war nach dem Gezänk der letzten Tage wohltuend. Eine Sternstunde der Parlamentarier, die losgelöst von dem im Alltagsgeschäft so erdrückenden Fraktionsgeschirr nur sich selbst verpflichtet ihre Meinung vertraten, war es allemal. Fünf Anträge waren es dann doch, die eingebracht wurden: die bekannten Anträge für Bonn und Berlin, die jeweils die Regierung und das Parlament für sich beanspruchen, und der von etwa 50 Abgeordneten unterzeichnete Antrag Heiner Geißlers, der Regierungssitz und Parlament trennen wollte. Hinzu gekommen war ein Antrag der SPD-Abgeordneten Schily und Conradi, keinesfalls das Parlament von der Regierung zu trennen, und einer der PDS, die — noch rigoroser als die Berlin-Befürworter — alles nach Berlin zu verlagern forderte.

Selten sei eine Entscheidung von solcher Tragweite „so verwirrend und unzulänglich vorbereitet“ gewesen, rügte Willy Brandt und orakelte warnend, daß nicht auszuschließen sei, daß „zu kurz gesprungen“ werde und damit „zum Nachsetzen geradezu aufgefordert“ werde. Es gehe um „nationale Weichenstellung“, geißelte Brandt die Bonn-Befürworter, die „Lobbyismus als Gemeinwohl feilgeboten“ hätten. Teilung werde durch „Worthalten überwunden“, mußte sich insbesondere Arbeitsminister Blüm (CDU) als Antragsteller Bonns anhören, der Anfang der achtziger Jahre als Berliner Bundessenator noch jeden Zweifel an Berlin abgeschmettert hatte. Blüm hatte zuvor in frecher Wendung das Motto „Teilung durch Teilen überwinden“ für das Aufgaben-sharing zwischen den Städten eingeklagt. Mit einem Umzug von Regierung und Parlament handelte sich Berlin nur die Probleme einer Megastadt ein; das wolle man der Stadt ersparen. Vor der Dabatte war von Abgeordneten und Beobachtern akribisch belegt worden, warum die Pro- Bonn-Position mit einer Mehrheit zu rechnen habe. Selbst die Berliner gaben hinter vorgehaltener Hand zu, es stehe nicht gut um ihre Sache. Doch — und dies war die zweite Überraschung — dieser Eindruck wandelte sich, je mehr die Zeit voranschritt und der Dauerregen, der die Bundesflagge vor dem Wasserwerk peitschte und graue Schleier über den Rhein trieb, am frühen Nachmittag nachließ. Es war auch Rednern wie Blüm geschuldet, denen das Plädoyer für Bonn als Ausdruck eines neuen Förderalismus zu durchsichtig geriet, um glaubwürdig zu sein. Daß Berlin eine Rückkehr zum Hauptstadtgedanken des 19. Jahrhunderts darstelle, wie es der FDP- Politiker Baum ausdrückte, war zu sehr von Eigeninteresse getragen, um zu überzeugen. Es waren dagegen die Befürworter Berlins, die Nachdenklichkeit erzeugten. Teilen heiße auch die Veränderung tragen, die sich aus der deutschen Einheit ergebe, vertrat Innenminister Schäuble in einem eindringlichen, emotionalen Appell für Berlin, für den er lange Ovationen erhielt und mit dem er Willy Brandt bewog, quer durch das Plenum zu laufen und sich mit einem Händedruck zu bedanken. Auch der SPD-Abgeordnete Wolfgang Thierse, der den Antrag Berlins vorstellte, hinterließ mit einer nachdenklichen, fast pastoralen Rede Eindruck. Es sei keine unanständige Zumutung, daß es für Berlin um mehr als Symbole gehen müsse, sagte Thierse und warnte, die deutsche Einheit könne immer noch scheitern. Es war spürbar, wie sich die Stimmung veränderte, je weiter die Debatte voranschritt, und auch die Bonn-Befürworter schienen plötzlich von Nervosität angesprungen. Zum Stimmungswandel trug Brandt bei, auch wenn er mit seinem Vergleich, nach der Vichy-Zeit sei die französische Regierung auch nicht auf den Gedanken gekommen, nicht mehr nach Paris zurückzukehren, die Empörung vieler Abgeordneter erntete. Der implizite Gedanke, es habe sich um illegitime Statthalter gehandelt, die dort in Vichy residierten, nahm ihm mancher übel. Auch der Bundeskanzler, dem in den letzten Tagen Führungsschwäche vorgeworfen wurde, weil er zu wenig Flagge zeigte, und von dem lange ungewiß war, ob er sich überhaupt in der Debatte äußern werde, bezog klar Position. Ohne Berlin hätte es keine Einheit gegeben, und in einem größer werdenden Europa sei Berlin keine „Randlage“ mehr, sondern ein „guter Standort“, sagte Kohl. Wie lange die Debatte dauern würde, wußte keiner am Nachmittag. Nur das Procedere der Abstimmung war klar. Erst sollte über den Teilungsvorschlag Geißlers und den Antrag Otto Schilys, der solches ablehnt, abgestimmt werden. Sollte der Geißler-Antrag nicht angenommen werden, wofür zu Redaktionsschluß alles sprach, dann sollten die beiden, oder falls die PDS nicht zurückzöge, alle drei Anträge für Bonn oder Berlin direkt abgestimmt werden. Für die Annahme eines Antrags, so hatte es der Ältestenrat vereinbart, sollte eine relative Mehrheit der Ja-Stimmen ausreichen und nicht die absolute Mehrheit notwendig sein.

Geißler, der wenig Beifall für seinen Teilungs-Antrag erhielt und geduckter noch als üblich hinter dem Rednerpult stand, als spürte er bereits die Last der Niederlage, verteidigte sein Modell als praktikabel. Zugleich appellierte er an die Abgeordneten, „Denkblockaden“ und die „Dogmen der Bequemlichkeit zu überwinden“, um „glaubwürdig zu bleiben und der Einheit zu dienen“. Otto Schily, der nach ihm sprach, geißelte dagegen die „berechnende Zaghaftigkeit“, die Ausdruck des Teilungsmodells sei, das es allen recht machen wolle. Wie der SPD- Abgeordnete Conradi beschwor er die Gefahr für die parlamentarische Demokratie durch eine Trennung, die weit schwerer wöge als eine Entscheidung für Bonn oder Berlin.

Berlin werde „grauer und härter und unbequemer“ sein als Bonn, sagte der Berlin-Befürworter Conradi: Aber die Menschen in Ostdeutschland müßten größere Härten bewältigen. Da waren die Reihen im Wasserwerk schon gelichtet. Gelassen blieb Bundesbauministerin Adam-Schwaetzer: „Was immer passiert, ab morgen muß ich bauen.“

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