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Die Kuh ist vom Eis!

Bonn (taz) — Mit Mühe kam die Kuh vom Eis. Dabei war gestern morgen eigentlich alles klar, als im Bonner Wasserwerk die Hauptstadt-Debatte begann — so klar, wie man es bei der gewieften Vorbereitung dieser Schicksalsfrage der neuen Republik erwarten durfte. Infas zählte 53 Prozent für Bonn — Emnid hatte gemeldet: 52 Prozent der Bürger sind für Berlin. Aber die hatten ja nichts zu sagen.

Dafür gab das Parlament eine seltene Vorstellung. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten debattierten da von Parteidisziplin befreite Abgeordnete, ohne daß schon alle vorher wußten, wie's ausgeht — wie im Bilderbuch der Demokratie. Wie es sich für Schicksalsfragen geziemt, hatte das Gezerre um Konsens und Kompromiß bis weit in die Nacht vom Mittwoch angehalten. Schließlich standen vier Anträge zur Abstimmung: Geißlers Angebot zur Trennung von Regierung und parlamentarischen Kontrolleuren, die eine in Bonn, die anderen in Berlin; die Forderung der Sozaldemokraten Schily und Conradi, Bundestag und Bundeskabinett nicht einer „zweiten deutschen Teilung“ zu unterwerfen — und schließlich: Bonn oder Berlin. Die Redeschlacht davor geriet zeitweise zum politischen Generationenstreit. Die vereinten alten Männer der Bonner Szene stritten für Berlin; diejenigen, die sich als Sprecher des jüngeren Deutschland gaben, verteidigten Bonn als das Symbol der identitätsstiftenden, schönen, bundesdeutschen Demokratie. Plötzlich entbehrte die Versammlung im Wasserwerk auch nicht mehr eines gewissen Unterhaltungswerts. So präsentierte der Abgeordnete Schily als Weisheit des historischen Moments: „Wenn sich zwei Mannschaften um die Austragung eines wichtigen Fußballspiels bemühen, kann nicht so geschlichtet werden, daß die eine Mannschaft in Berlin und die andere in Bonn spielt.“ Dem konnte sich auf seine Art auch Innenminister Schäuble nicht verschließen: „Wir haben keinen Kompromiß gefunden“, bekannte er. Und: „Vielleicht ist das gut so.“ SEITEN 2 und 10

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