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Spekulantentango am Berliner Ring

Vehlefanz hat 900 Einwohner, viel Land und den Wunsch, Wirtschaftszentrum zu werden/ Erste Ausfallerscheinungen in der Gemeindevertretung/ Gemeinde ringt mit dem Landratsamt  ■ Aus Oranienburg Sabine Klaus

Gleich hinter Berlin, rechts neben der Autobahnabfahrt Kremmen, fängt die Idylle an. Grüne, satte Landschaft, leicht hügelig — soweit das Auge reicht Natur pur. Fett leuchten die grünen Wiesen, gelb glänzen die Butterblumen, darauf einge widerkäuende Kühe drapiert wurden. Des Großstädters Herz läuft rund ob soviel Heimeligkeit. Der Schein des friedlichen Landlebens trügt.

Intrigen, Bodenspekulation, Profitgier, Rücktrittsforderungen an Kommunalpolitiker, vielleicht auch Bestechung, Begriffe aus den finstersten Tiefen der rauhen Kapitalistenwelt machen die Runde. Kaum einer der Dorfbewohner hält noch Schritt bei dem Spekulantentango. Alexander Michaelis, seit drei Wochen als Bürgermeister im Amt, fühlt sich bereits jetzt schon ausgelaugt. Seine Amtsvorgängerin hatte vor drei Wochen ihr Mandat niedergelegt. Andere gewählte Gemeindevertreter beantragten ihre Demission. Zu groß war der moralische Druck.

Strittiger Dreh- und Angelpunkt sind offensichtlich unvereinbare Entwicklungskonzepte für das 750 Jahre alte Dorf in verkehrsgünstiger Nähe zur Haupt-Regierungsstadt.

Die Vehlefanzer Gemeindevertreter planen auf einer Fläche von 100 Hektar ein Gewerbegebiet. Investoren gäbe es genug: eine Handelskette, ein Kranbau- und zwei Holzbetriebe sowie eine Baustoffhandelsfirma. Ein Bankenkonsortium würde für die finanzielle Unterstützung sorgen. Das Projekt wurde im Planungsverband mit den umliegenden Gemeinden erarbeitet. Dem geplanten Flächennutzungsplan stimmte das Landratsamt bereits zu. Neben der Gewerbesiedlung sollen stadtnahe Eigenheime im Grünen gebaut werden. Wald und Wälder, das Landschaftsschutzgebiet sieht einer sanften touristischen Erschließung entgegen. Nach Ansicht des Landratsamts in Oranienburg seien die Projekte für 900 Dorfbewohner wohl „eine Nummer zu groß“, mutmaßt Alexander Michaelis. Besonderes Mißfallen scheine dort hervorgerufen zu haben, daß die Vehlefanzer Gemeindevertreter eine eigene kommunale Entwicklungsgesellschaft gegründet haben. Im Gegenzug konstituierte das Landratsamt ebenfalls eine Wirtschaftsförderungsgesellschaft, die offensichtlich mit dem künftigen Gewerbegebiet andere Ziele verfolgt, als die Vehlefanzer Kommunalpolitiker. Just am selben Tage, an dem die kommunale Gesellschaft gegründet wurde, tauchte eine Willenserklärung auf — von einem Teil der Vehlefanzer Bürger unterschrieben —, die die Gemeindevertretung zum Rücktritt auffordert. Damit wäre nach Auffassung des 35jährigen Bürgermeisters das Entwicklungskonzept seiner Politikerrunde zum Scheitern verurteilt.

Was nur auf den zweiten Blick zu erkennen ist: Der umstrittene Boden befindet sich in Privathand von etwa 30 Eigentümern. Das Filetstück des künftigen Baulandes sowie ein Teil des für den „größten Einkaufs- und Erlebnispark Europas“ vorgesehenen Sondergebietes bei der Nachbargemeinde Eichstädt gehören dem Baudezernenten des Oranienburger Landratsamtes. Der nun wieder ist Vehlefanzer Bürger und — nach Meinung von Michaelis — an hohem Verkaufspreis und billigem Investitionsaufwand für seine Scholle interessiert. Allerdings seien für die „Landratsamts-Variante“ der Ortsentwicklung bisher weder Investoren noch konkrete Konzepte vorhanden, sagt der Bürgermeister. Ein Viertel der 100-Hektar-Gewerbefläche wurde inzwischen von einer „Immobilienverwaltungs- und Beteilungsgesellschaft Neubrandenburg“ gekauft. Dieses Unternehmen wird von der Tochter des als „König von Sylt“ bekannten, pleite gegangenen Immobilienhändlers Karl-Heinz Krutz geführt. Eine Klausel aus den Kaufverträgen besagt, daß erst bei Baubeginn gezahlt wird. Und der ist nach dem Stand der Dinge umstritten. Es sei denn, der Bürgermeister tritt mit dem Rest der Gemeindeverwaltung zurück und macht Platz für Projekte, die wohl kaum dem Gemeinwohl dienen. adn/taz

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