: Wählergeil und sozial ausgrenzend
■ „Autos raus — Leben rein“ (Über die geplante Verkehrsberuhigung auf dem Ostertorsteinweg) — taz v. 12.6.91
Ich denke es ist höchste Zeit, den Öko-Puristen im Viertel, vornehmer bereits Quartier genannt, auf die Füße zu treten und wieder die selbsternannnten Vertreter des lokalen Zeitgeistes zu opponieren.
Wer Ruhe und Ordnung am O'Weg und in den Seitenstaßen als erste Bürgerpflicht propagiert, von staatlichen Institionen lautstark einfordert, den „natürlich“ gewachsenen Anwohnerrechten endlich die gebührende Aufmerksamkeit zu widmen und dabei auch keine Hemmungen zeigt, ihre Durchsetzung gegebenenfalls unter Anwendung polizeilicher Maßnahmen zu erzwingen, handelt aus meiner Sicht intolerant, historisch desinteressiert und, politisch betrachtet, konservativ-reaktionär. Und das alles geschieht noch unter dem Deckmantel grüner Politik.
Das widersprüchliche Verhalten zahlreicher wortgewaltiger Meinungsführer zur beabsichtigten Umgestaltung des O'Weges ist dafür ein schlagendes Beispiel, wobei das Reizthema „Auto“ und das positiv besetzte Stichwort „Verkehrsberuhigung“ die Bandbreite markieren, innerhalb derer sich die Akteure argumentativ bewegen.
Ich will deutlicher werden: Wenn auf Anwohnerversammlungen heftig über neue Konzepte zur Verkehrsberuhigung gestritten wird, oft flammende Appelle für den ÖPNV und gegen die Nutzung des PKWs im Viertel formuliert werden, die in ihrer Diktion auf den gestandenen Autofreak wie eine offene Kriegserklärung wirken müssen, dann fällt auf, daß sich die vorgeschlagenen Maßnahmen in letzter Konsequenz immer nur „Revierfremde“ richten, die offensichtlich die eigene Gemütlichkeit in der Seitenstraße stören. Der praktische Einsatz von Schlagbäumen, Eisenketten, beweglichen Pfählen und die leidenschaftlich vorgetragene Forderung nach Einführung von Plaketten für den eigenen PKW sind deshalb wohl folgerichtig als flankierende Maßnahmen zur Sicherung des Anwohnerprivilegs zu verstehen. Dies signalisiert unmißverständlich eine gewollte Einteilung der Autofahrer in „Berechtigte“ und „Nichtberechtigte“. Wer hätte je gedacht, daß vielleicht zukünftig ein einfacher Schlüssel erforderlich sein könnte, um sich Steintor und Ostertor zu „erschließen“.
Konkret gesagt: Die Instrumentalisierung der geballten Öko-Argumente gegen den Moloch AUTO zur Durchsetzung handfester Eigeninteressen, deren Durchsetzung fatale Auswirkungen auf das Soziotop Ostertor und angrenzende Gebiete — nicht nur O'Weg — haben wird, geht mir ebenso auf den Wecker wie die dabei betriebene Heuchelei.
Es sei daran erinnert, daß die notwendige Umleitung und Reduzierung des in den O'Weg einfließenden Verkehrs nicht zu einer Abdrängung in die schmalen Nebenstraßen führen darf, wodurch die Belastung weiter ansteigen würde; das ist allgemeiner Konsens. Wenn aber die neue Parole lautet: „Weg mit dem privaten PKW-Verkehr auf dem O'Weg! Für freie Fahrt der Viertelbewohner in den Nebenstraßen und eigenem Parkplatz für Auto, Wohnmobil, Segelboot ... vor dem Haus!“, dann ist eine neue Qualität in der Auseinandersetzung erreicht worden. Es zeigt, daß ein Großteil der Bewohner selbst im Traum nicht daran denkt, auf die Nutzung des eigenen PKWs zu verzichten bzw. ihn sogar ganz abzuschaffen — es gibt dafür durchaus gute Argumente — sondern die beabsichtigte Umgestaltung lediglich unter dem Aspekt der Schaffung von „Erlebnisräumen“ und von Ambiente propagiert, wobei das Auto stört. Holger Bruns-Kösters hat in seinem Beitrag vom 12.06. davon ja bereits geschwärmt.
Wer sich so als vielleicht auch gut betuchter Nachfrager dem Problem nähert und für sich gleichzeitig ein bestimmtes Anspruchsniveau reklamiert, darf sich dann übrigens nicht beklagen, wenn sich das Angebot und damit die Geschäftsstrukturen „erlebnisorientiert“ wandeln — andere Städte haben das mit allen negativen Begleiterscheinungen längst vorexerziert .
Eine ernsthaft am Sinn des Wortes orientierte Politik der Verkehrsberuhigung, nicht -verdrängung, muß deshalb mit dem Tabu brechen, daß Viertelbewohner mit dem Anliegerprivileg am Schlüsselbund oder an der Windschutzscheibe zu jeder Tages- und Nachtzeit ihr Häuschen erreichen können, um dort den PKW abstellen zu können. Intelligente Antworten sind gefragt — an Lösungen will ich gar nicht denken — doch die sind gegenwärtig rar. Sie müßten aus dem Gefühl der Verantwortung für den Erhalt charakteristischer Strukturen des Stadtteils, seiner historischen Entwicklung und Weiterentwicklung und der Toleranz gegenüber den hier lebenden und auch gewerblich arbeitenden Menschen entwickelt werden, die sehr unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen aufweisen.
Die gegenwärtig betriebene Politik der Umwandlung des O'Weges in eine Flaniermeile, mit allen daraus folgenden Veränderungen, wird aus meiner Sicht in Brechstangenmanier betrieben. Sie ist stadtplanerisch wenig durchdacht, da aufgrund des Fehlens eines verkehrspolitischen Gesamtkonzepts nur am Wohlergehen des Viertels orientiert, ferner überwiegend an den Interessen einer sich über die Beiräte artikulierenden akademisch gebildeten Konsumentenschicht ausgerichtet, wählergeil und letztendlich sozial ausgrenzend. Mit einem Wort: intolerant — und das will ich nicht!
Wolfgang Müller
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