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Gorbatschow reagiert scharf

Entscheidung über Schwächung der Präsidialmacht wird an den Volksdeputiertenkongreß verwiesen  ■ Aus Moskau K.-H.Donath

Wochenlang hatte sich Präsident Gorbatschow nicht mehr auf den Sitzungen des Obersten Sowjets der UdSSR sehen lassen. Konservative Deputierte witterten dahinter Feigheit. Denn auch dem Zentralkomitee der KPdSU, der Gorbatschow noch als Generalsekretär vorsteht, hatte der Präsident seine letzten politischen Manöver nicht mehr dargelegt. Statt dessen war er dazu übergegangen, im exklusiven Kreise der neun Republiksvertreter, die im Verband der UdSSR bleiben wollen, entscheidende Weichen zu stellen. Der alten Garde galt dies als ein klares Indiz „politischen Abenteurertums“.

Nachdem Vizepremier Pawlow zu Wochenbeginn vom Obersten Sowjet jedoch eine Ausweitung seiner exekutiven Kompetenzen und im Gegenzug eine Beschränkung der Präsidialmacht gefordert hatte, mußte sich Gorbatschow notgedrungen den Parlamentariern stellen. Auf dem Spiel steht eine ganze Menge: der Erfolg eines neuen Unionsvertrages und das mit dem Namen Jawlinski verknüpfte wirtschaftliche Sanierungsprogramm, für dessen tatkräftige Unterstützung Gorbatschow auf dem G-7-Treffen in London um finanzielle Hilfe anhalten will. Pawlow lehnt westlichen Beistand strikt ab. So sieht sich Gorbatschow zum zweiten Mal einem Premier gegenüber, der seinen Reformkurs nicht mitträgt. Vergangenes Jahr sabotierte Premier Ryschkow die Umsetzung des „500-Tage-Programms“.

In einer kurzen, aber scharfen Rede hielt Gorbatschow den konservativen Widersachern vor, ein weiterer Verzug der wirtschaftlichen Reformen sei der sichere Tod. „Sie sitzen hier wie unter einer Schutzhaube“, griff er die Deputierten an. Chancen zu einer konstruktiven Kooperation hätten sich jetzt aufgetan, „aber es gibt Leute, denen das nicht paßt.“ Die Rädelsführer der konservativen „Sojus-Fraktion“ Alksnis und Blochin nannte er deutlich beim Namen, vermied es aber, seinen Premier zu brüskieren. „Das Kabinett agiert im Rahmen der Umgestaltung unserer Gesellschaft und genießt volle Unterstützung des Präsidenten. Eine Krise gibt es nicht, und ich ich hoffe, es wird sie auch nicht geben.“ Blochin bezeichnete diese Rede als „Angriff auf die Demokratie“ und den „Beginn einer Diktatur“.

Wie schon zu erwarten war, traf der Oberste Sowjet keine Entscheidung. Mit einer so weitreichenden Frage muß sich ohnehin das höchste gesetzgebende Organ des Landes, der Kongreß der Volksdeputierten, befassen. An ihn wurden Pawlows Forderungen verweisen, ein außerordentlicher Kongreß wurde allerdings nicht verlangt. Selbst die Mehrheit des Obersten Sowjets dürfte letztlich davor zurückgeschreckt sein, den Premier mit zusätzlichen Befugnissen auszustatten und damit einen offenen Konflikt mit dem Präsidenten heraufzubeschwören. Ein Sturm im Wasserglas.

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