: Alpenmythologisches Geraunze
■ Das Rustical »Der Watzmann ruft« in der Waldbühne
Manchmal liegt man einfach völlig falsch. Man könnte zum beispiel meinen, das Liebesgrüße-aus-der-Lederhose- Thema sei inzwischen ziemlich ausgereizt, und das Brauchtum der Alpenländler könne auch als »Rustical« kaum jemanden zum Verlassen seines Gartenlokals veranlassen. Zieharmonikamärsche und Bergmädelärsche sind im Moment kein Thema, könnte man denken, egal, ob er ernst gemeint oder mehr parodistisch. Und das heißt: Man kennt sich eben nicht aus. Der »Watzmann« rief und alle Lederhosen kamen. Kamen nicht nur, sondern schunkelten, jodelten, brüllten und pfiffen und siegten. Die meisten kamen zu schnell, weil sie einfach nicht hinterm Berg halten konnten damit, daß sie sämtliche Dialoge ihrer »Watzmann«- Rock-Operette auswendig gelernt hatten. Wenn die Bühne nur noch das Echo einer synchron Sätze ejakulierenden Fan-Gemeinde ist, befindet man sich in einer Kultveranstaltung und hat nur eine Chance: mitmachen. Leute, die sich im Unklaren sind, ob sie noch eine Weile warten oder gleich voll einsteigen sollen, werden von ihrer Umgebung sofort ausgemacht und kriegen diesen einschlägigen Blick zu spüren, der besagt, daß frühvergreiste Spießer hier und jetzt nicht erwünscht sind. Bei so vielen Bergstiefeln im Raum tut man gut daran, nicht zu zweifeln. Außerdem scheuen die Fans selbst kein Gesundheitsrisiko. Viele brechen schon bei den Worten »Auffi, Auffi!« in sich zusammen, als hätten sie jahrelang auf diesen Ruf gewartet und wären jetzt von seiner Ankuft schlicht überfordert.
Der Mann, der diese Zusammenbrüche zu verantworten hat, heißt Wolfgang Ambros, trägt eine Satinbundfaltenhose, feiert mit dieser Wiederauflage des »Watzmanns« zwanzigjähriges Bühnenjubiläum und ist ein hundertprozentiges Schmiermittel. Er muß sich überhaupt keine Sorgen machen, daß jemand ihn in der Pause als »irgendwie genauso übel wie Heinz Schenk« bezeichnet, seine triefende Stimme und sein seltsam trauriger Blick treffen die Leute mitten ins Herz. Die demonstrative Genervtheit, mit der Ambros auf das Gejohle zu seinen Füßen reagiert, ist ganz genau kalkuliert. Der Mann weiß, daß sein Publikum nichts mehr liebt, als schlecht behandelt zu werden, und daß Charme so ungefähr das letzte ist, das man von ihm erwartet. Am allerglücklichsten sind die Leute, wenn Wolferl zeigt, daß sein Job ihn anekelt. Da geht es ihnen ähnlich. Wolfgang Ambros besitzt auch noch genug 'deutsch-österreichisches Feingefühl‘, um zu zeigen, daß das Alpenmelodram, als dessen Conferencier er aufzutreten hat, in seinen Augen nur ein mitleidiges Lächeln verdient. Und damit liegt er nun wieder richtig, auch wenn sein Mitleid genauso falsch ist wie der Mann am Keyboard, der dauernd so tut, als müsse er sich über die Null-Pointen und herunterklappenden Lederhosenschürze an jedem Abend von neuem ausschütten vor Lachen.
Es muß übrigens, auch wenn es ein Kultbuch ist und ein Zeichen von Frühvergreistheit, Spaßverderberei und sowieso ohne jeden Belang, trotzdem noch gesagt werden, daß »Der Watzmann ruft« eine an Verblödung nicht mehr zu übertreffende Veranstaltung ist, die auf der Siebziger-Jahre-Welle reitet. Eine, die Friedrichstadtpalast-Ästhetik nicht einmal zu parodieren versteht, sondern bloß bedient, übrigens ganz miserabel. Und daß die angeblich so unheilvolle »Gailtalerin« nur ein Unheil bringt, nämlich ihren Darsteller M.O. Tauchen, der das sogenannte »Rustical« auch geschrieben und inszeniert hat, und daß die Veranstalter offenbar finden, ein bißchen alpenmythologisches Geraune in Pappkulissen plus Dialekt-Rock im Blaulicht seien genug, um das »bezaubernde Publikum« (Ambros) bei Laune zu halten, womit sie — das ist ja der Wahnsinn! — auch recht hatten. Wir hingegen (ein radikale Minderheit von zwei Personen und ein unbekannter Hund, der Wolferls Bühnengänge mit nachdenklichen Blicken verfolgte) sind der Meinung, daß es vollkommen ausgereicht hätte, wenn der »Watzmann« immerzu zwischen dem Arbeiter-Kammersaal von Schrems, der Stadthalle von Ybbs und der Sporthalle von Krems (Auftrittsorte in Österreich) hin- und hergereist wäre, mindestens aber niemals wiederkommt. Doja Hacker
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