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König Gregor I., der Bunte, soll in die Volxwirtschaft

Der 1. Jahrestag der Bunten Republik Neustadt war ein überzeugendes Bekenntnis aller Bürger und Bürgerinnen zur „Republik der Könige“  ■ Aus Neustadt Detlef Krell

Stürmischer, nicht enden wollender Beifall, in Ovationen übergehend. Hochrufe unterbrechen immer wieder die Ansprache des Monarchen Gregor an sein Volk. Nach einer eindrucksvollen Demonstration durch die festlich geschmückten Straßen der Bunten Republik versammeln sich die weit mehr als tausend BürgerInnen vor dem beliebten Kulturzentrum „Scheune“. Auf einem weißen Transparent bitten sie: „Gregor in die Volxwirtschaft — BRN von unten“. Monarch Gregor bedankt sich bei allen, die mit ihrer unermüdlichen Arbeit zu diesem großen Fest beigetragen hatten, sei es nun Antje als Ministerpräsidentin, Reinhard als Minister für Treppauf- und Abrüstung oder Anette, Ministerin für Faulheit und Küchenverödung. Der Monarch ohne Geschäftsbereich zeigt sich voller Zuversicht, daß einer Anerkennung der Bunten Republik Neustadt durch Australien und dem Anschluß des benachbarten Staatswesens Untere Hecht nach Artikel 23 nichts mehr im Wege steht. King Gregor spricht seinem Volke Mut zu, sich auch künftig täglich mit Phantasie und Witz zu wehren gegen Spekulation und Zerstörung, Mietwucher und Vertreibung.

Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident des benachbarten Gemeinwesens, läßt in einer Note an die „buntregierenden Republikaner“ wissen, daß er das Engagement der Bunten Republik für Solidarität, Mitmenschlichkeit, Toleranz und Kultur sehr schätze.

Drei Tage lang finden sich auf den Straßen und in den Höfen zwischen „Tivoli“ und „Schlagloch“, Café „100“ und Scheune zum Fest, was an Kultur in dieser Bunten Republik lebt. Die Neustädter Szenecafés haben Tische auf Trottoir und in die grünen Hinterhöfe gestellt. Greenpeace sammelt Unterschriften gegen Treibnetzjagd und Vermarktung der Antarktis. Neustädter Künstler griffeln ihre Nachbarn auf Karton; allerlei Trödel harrt an allen Ecken neuer LebensgefährtInnen. „Vorsicht, Kunst!“ warnt Simon Schade die PassantInnen vor seinen lebensgroßen Figuren. Im Nordbad, das vor hundert Jahren gebaut, vor zwanzig Jahren geschlossen und vor einem Jahr durch eine Neustädter BürgerInneninitiative vor dem Verkauf gerettet wurde, klingt Gitarrenmusik, und öfter wird eine Mark in der Kasse für den Wiederaufbau geworfen. Millionen soll das Bad kosten, 1.200 DM sind schon zusammengekommen. Unter Palmenwedeln toben die Kinder im Planschbecken. „Ohne Nordbad keine Neustadt“, mit dieser Losung vertreibt die Bunte Republik alle Eindringlinge, die aus dem romantischen Badehaus eine Disko oder ähnlich nutzloses Zeug zaubern wollen.

Auf der Sebnitzer Straße öffnet ein Café, gekommen sind auch die beiden Architekten, die mit den AnwohnerInnen ein Straßenprojekt realisieren wollen. Die Sanierung der mehr als hundert Jahre alten Häuser gehört dazu wie der Bau eines Spielplatzes. Bis dort die Klettergerüste stehen, toben sich die Neustädter Kids noch auf der Böhmischen Straße aus, dort haben ihnen ihre Eltern mit der Neustädter BürgerInneninitiative schon einen Spielplatz hingestellt.

Etwas ratlos geht die Diskussionsrunde in der „Scheune“ auseinander. Nach mehr Platz und Mitmenschlichkeit für Flüchtlinge war gefragt; „soviel wie nur möglich sollen kommen“, so denken nicht wenige in der Bunten Republik, doch die Nachbarvölker, arbeitslos, frustriert, sie sind noch nicht so weit. „Widerstand organisieren, Regierung stürzen“, schlägt ein Punk vor, der mal eben vom neuen Szene-Treff aus einem der benachbarten Höfe herübergekommen war. Das widerspräche aber dem Dekret Nummer 1 der Bunten Republik Neustadt, dem Dekret über den Frieden.

Bevor der Morgen graut in der Bunten Republik, pilgern die Autonomen mit ihren Eltern zum Festplatz, dort hat die Filminitiative eine Leinwand gezogen. Heute läuft Die Feuerzangenbowle. In der Nacht kommen die Glatzen. Viel können sie heute nicht ausrichten. Einen Punk zusammenschlagen, Eindruck schinden, Angst hinterlassen. Auch ihren Bürgerkrieg behält die Bunte Republik.

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