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Orthodoxe Posaunen zum Kampf um die jüdischen Seelen

In der israelischen Sommerhitze tragen ultrareligiöse und säkulare Juden mangels äußerer Feinde zum wiederholten Mal ihre alte Fehde aus  ■ Von Hal Wyner

Im israelischen Fernsehen wettern wieder orthodoxe Rabbiner mit dem Zorn alttestamentarischer Propheten und in den Kibbutzim wird wieder gegen „religiöse Erpressung“ durch die Orthodoxen demonstriert. Seit Wochen bahnt sich in Israel eine neue Machtprobe zwischen der ultrareligiösen Minderheit und der säkularen Mehrheit an. Die Euphorie über die erfolgreiche Aktion zur Rettung der äthiopischen Juden ist längst verflogen. Der Streit über ihre Eingliederung hat sowohl den religiösen wie den säkularen Gruppierungen im Land eine Cause célèbre geliefert, die ihnen erlaubt, eine alte Fehde neu auszutragen.

Kampf um die Wählerstimmen

Beim Streit um das Wohlergehen — und somit freilich auch um die zukünftigen Wählerstimmen — der äthiopischen Juden bleibt die Initiative in den Händen der Religiösen. Denn in der Schamir-Regierung werden fast alle Ministerien, die für die Eingliederung der Neueinwanderer zuständig sind, von Vertretern der verschiedenen orthodoxen und ultraorthodoxen Parteien geführt. Der erste Stein wurde vom Erziehungsminister Zevulun Hammer von der national-religiösen Partei geworfen, als er eigenständig beschloß, die Kinder der äthiopischen Juden erst zwei Jahre lang in die staatlichen Religionsschulen zu schicken, bevor er den Eltern die Schulwahl überläßt. Seinen bisherigen Höhepunkt erreichte der Streit vergangene Woche, als Einwanderungsminister Rabbi Jitzhak Peretz das Kampffeld auf den Konflikt zwischen dem orientalischen und dem europäischen Judentum ausweitete. Er werde es nicht zulassen, erklärte der 1950 aus Marokko eingewanderte Peretz bei einer Fernsehdiskussion, daß die äthiopischen Juden in Kibbutzim aufgenommen werden. Sie den Hochburgen des säkularen, europäischen Zionismus auszuliefern, käme einem „Taufzwang“ gleich, die israelischen Gefängnisse seien voll mit jungen orientalischen Juden, die durch den Kontakt mit den Kibbutzim verdorben worden seien. Die Vorwürfe des Ministers gegen die Kibbutzim klangen nicht nur deswegen absurd, weil sie faktisch nicht stimmten (zwar ist die Mehrheit der jüdischen Gefängnisinsassen in Israel orientaler Abstammung, aber kaum einer von ihnen hat je einen Kibbutz von innen gesehen). Die moralische Entrüstung von Peretz schien auch aus einem anderen Grund deplaciert: Seit Monaten wird gegen Innenminister Arie Deri, der wie Peretz aus der Shas-Partei der ultraorthodoxen orientalischen Juden kommt, wegen Korruption ermittelt. Ebenfalls untersucht werden ihre Parteikollegen Kommunikationsminister Rafael Pinhasi und Knesset- Mitglied Yair Levi, wie auch dessen Frau, eine Bankangestellte. Vorgeworfen wird ihnen unter anderem Veruntreuung von Staats- und Parteigeldern, Diebstahl, Verschwörung und Bestechung. — Für die äthiopischen Juden ist die Debatte weitgehend unverständlich, denn die Juden, die sie in Israel vorfinden, sind ihnen fremd. Da sie über Jahrhunderte weder mit europäischen noch mit orientalischen Juden Kontakt hatten, sind ihnen viele der Bräuche der Religiösen völlig unbekannt. Durch Versuche der Rabbiner in Isarel, die das Judentum der eingewanderten Äthiopier öffentlich anzweifeln, sie von ihren eigenen Traditionen abzubringen, fühlen sie sich verletzt und gedemütigt. Gleichzeitig sind sie durch das Verhalten der säkularen Juden, die Nichtkoscheres essen und am Sabbath arbeiten wollen, zutiefst schockiert.

Ihr Dilemma gleicht in vielen Hinsichten dem der orientalischen Juden, der Sephardim, vor etwa vierzig Jahren, als diese aus den arabischen Ländern zu Hunderttausenden in den neugegründeten jüdischen Staat strömten, wo sie von den europäischen Juden, den Aschkenasim, die das Establishment bildeten, als „arme Verwandte“ nur mit Verachtung aufgenommen wurden. Alleingelassen in Transitlagern, die sich mit der Zeit in ganz gewöhnliche Slums entwickelten, hatten sie kaum eine Möglichkeit, den Aschkenasim wirtschaftlich oder gesellschaftlich gleichzuziehen. Daß die israelischen Gefängnisse heute mit orientalischen Juden voll sind, hat eher hierin seine Wurzel.

Religiöse Erziehung als Alternative zum Slum

Der Ausschluß der Sephardim änderte die politische Landschaft Israels. Zum einen wandten sich die orientalischen Juden immer mehr von der in den 50er und 60er Jahren allmächtigen Arbeiterpartei ab und halfen so der von Menachem Begin geführten säkularen, rechten Opposition 1977 an die Macht. Zum andern stärkten sie die Reihen der ultrareligiösen Parteien, die sie von Anfang an mit offenen Armen aufgenommen hatten.

Für sephardische Eltern, die ihre Kinder aus den Slums retten und vor der Überheblichkeit der Aschkenasim schützen wollten, war die kostenlose Erziehung in den Religionsschulen der Ultraorthodoxen oft die einzige Alternative. Den meist traditionell erzogenen Orientalen war der fanatische Eifer, mit dem die aus Osteuropa stammenden Bärtigen mit den schwarzen Hüten die Religion betrieben, zwar fremd; im Vergleich zu den anderen Möglickeiten, die ihnen offen standen, war dies dennoch das kleinste Übel. So lernten die Kinder arabisch sprechender Eltern jiddisch zu reden und später damit Politik zu machen. 1984 gründeten sie ihre eigene Partei, „Schomrei-Torah Sephardim“ (die sephardischen Thora-Hüter) — „Schas“.

Heute ist Schas als drittstärkste Fraktion im Parlament. In der regierenden Koalition ist sie die zweitstärkste Kraft. Solange Schamir diese Koalition nicht auflösen will, muß er sowohl die Haßtiraden des Einwanderungsministers Peretz wie auch die anscheinend höchst korrupten Machenschaften der anderen beiden Schas-Minister und Rabbiner Deri und Pinhasi dulden. Was die äthiopischen Einwanderer angeht, wird man erst in dreißig Jahren wissen, wer den Kampf um deren jüdische Seele gewonnen hat.

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