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So, jetzt haste die Wirklichkeit!

■ Neue Serie: taz-Spots auf die Bremer Filmszene, Teil 1: Elmar Hügler, Dokumentarfilm-Kapazität bei Radio Bremen

Elmar Hügler, langjähriger Leiter der Abteilung Kultur und Gesellschaft bei Radio Bremen und einer der Väter des neuen deutschen Dokumentarfilms, hatte das Glück, am Bodensee zu leben. Da war er noch ein junger Mann, studiert in Germanistik, unterrichtete wohl auch und träumte doch vom Filmen. Um sich hatte er aber, was man einen Kreis nennt: z.B. Martin Walser, Peter Hamm, Schriftsteller, Trauzeugen. Das war gut, weil er über die beiden nach Stuttgart eingeladen wurde in die Dokumentarfilmabteilung des SDR, wo man einen Assistenten suchte. Und dann war Hügler (Jg.'33) eben auf einmal Assistent. Ein Riesenglücksfall für ihn und die Anfänge der sogenannten „Stuttgarter Schule“, von Alexander Kluge „Keimzelle“ des deutschen Fernsehens genannt. Das waren also fünfsechs Leute, die nichts anderes vorhatten, als den Dokumentarfilm auf die Beine zu bringen in Abgrenzug zur UFA-Tradition der Kulturfilme. Einer davon eben: Elmar Hügler.

taz: Gibt es eine Ästhetik des Dokumentarfilms?

Elmar Hügler: Es ist heute so: wenn sie mit schönen Bilern arbeiten, geraten sie schon in Verdacht, etwas ganz Unanständiges zu tun, einen Anschlag gegen die Authentizität der Wirklichkeit vorzunehmen. Ich bin der Meinung, daß man alles vermitteln muß. Ein Beispiel: Es gab in der Zeitschrift NATUR mal eine heftige Diskussion darüber, ob man auf Hochglanzpapier drucken darf, wenn man die Natur retten will. Da brach eine ungeheure Diskussion aus! Und dabei kam heraus, daß man ein Bewußtsein wohl erst in dem Augenblick weckt, wenn man den Wald schön präsentiert.

Was ist also Wirklichkeit?

Also ich hab' am Anfang die Kamera draufgehalten und dachte: so, jetzt haste die Wirklichkeit! Da hat vor 25 Jahren jeder dran geglaubt. Ich hatte dann eine Art Schlüsselerlebnis: ich saß am Schneidetisch und habe die hunderte von Metern Material mit dem verglichen, was ich im Kopf hatte, und da reichte die Wirklichkeit plötzlich statt von A-Z von A-K. Aber ich bin doch auch verpflichtet zu L-Z! Da versucht man dann, die Bilder neu zu arrangieren, damit zu jonglieren: so kommt man der Wirklichkeit näher. Ich hab damals im SDR eine Reihe gemacht „Notizen vom Nachbarn“, da bin ich in Familien reingegangen mit Alltagsereignissen: Geburt, Tanzkurs, Einberufung, bürgerliche Hochzeit. Und hab nichts anderes gemacht, als detailliert die Vorbereitungen zu filmen.

Hatten Sie nicht auch gewisse Vorstellungen dazu im Kopf?

Ich habe mein ganzes Leben immer gedacht, was für Rituale wir doch haben!! Das sind die gleichen Rituale, wie wenn wir in'n Urwald kämen. Und da würden wir davorstehen und sagen, das ist ja unglaublich. Wir merken's hier bloß nicht mehr. Und das war die Absicht der ganzen Reihe.

Kann man sich einen unschuldsengeligen Blick bewahren?

Das muß man. Bei jedem Film muß man alles Wissen auf Null schrauben und ganz naiv rangehen. Das ist übrigens das Erste, was ich hier abgeschafft hab', ich hab hier am Anfang Drehbücher auf den Tisch bekommen: für Dokumentarfilme!! Ich dachte, ich trau meinen Augen nicht! Da waren zum Teil die Antworten auf die Fragen schon vorformuliert! Absurd — nach Drehbuch zu drehen und fünf Meter nebendran passiert was unglaublich Aufregendes, das sieht man dann gar nicht. Das Risiko ist natürlich, einen ganz anderen Film zu kriegen. Das passiert immer wieder, und das ist peinlich gegenüber der ARD. Wir sind ja verpflichtet, ein Thema anzumelden und dann auch abzugeben. Auch das ist ein Ritual. Früher konnten wir noch autonom Programm machen. Heute müssen wir ein Thema erstmal allen ARD-Chefredaktionen anmelden, dann gehts an die Koordination, dann kommt es bei den Chefredakteurskonferenzen

Elmar Hügler: Heute muß ich schon wieder um meine drei Sendeplätze kämpfenFoto: Tristan Vankann

auf den Tisch, und da wird seit anderthalb Jahren drüber abgestimmt.

Nochmal zu den Nachbarnotizen: Sie brechen da als Fernsehteam im günstigsten Fall zu viert, also Autor, Kameramann, Beleuchter und Tonmann, in einen bürgerlichen Haushalt ein: Da benimmt sich doch kein Mensch mehr normal.

Das ging in der Tat nur, indem man erstmal zweidrei Tage mit

hierhin bitte das

Foto von dem Mann

mit Monroe-Poster im

Hintergrund

den Leuten lebte. Ein Verhältnis herstellte. Davon hängt der Erfolg eines Films ab, ob es gelungen ist, ein Stück mit den Leuten intim zu werden. Ich hab' in meiner anderen Reihe „Grenzstationen“ aber auch mit Spielfilmleuten gearbeitet und Wirklichkeit arrangiert, wie wenn man einen Brief schreibt: das Vokabular ist festgelegt, aber noch ist nicht klar, wie Sie die Worte setzen. In Bremen hab' ich dann mit „Unter

deutschen Dächern“ diese Linie fortgesetzt. Nebenher hab' ich versucht, als Gegenstück zum Kleinen Fernsehspiel im ZDF die „Filmprobe“ zum Leben zu erwecken. Ein nettes Alibi, heute muß ich schon wieder um meine drei Sendeplätze kämpfen.

Die „Filmprobe“ soll ein Forum sein für kleine Experimentalfilme — inwieweit könnte das Fernsehen, also Sie, die freie Filmszene fördern, etwa in Bremen?

Mit Sendeplätzen, und die hab ich nicht. Es gibt eine Zusammenarbeit auf der technischen Seite. Womit ich in letzter Zeit zusammenarbeite, ist mit dem Bremer Institut für Film und Fernsehen, also mit Euler, Mitscherlich, Sander.

Ich meinte eher die freie Filmszene, also die ohne Geld...

Das ist sehr schwer. Das Filmbüro hat früher davon partizipiert, daß ich die „Filmprobe“ machte. Aber in der Regel verlangt mir die ARD etwas ab, was ich da nicht automatisch erwarten kann. Die Erwartungshaltung will nur noch Knüller! Und für kurze Filme gibt's eh kaum noch Raster.

Was sind das für Zeiten?

Ernüchternde! Auch dieser Aktualitätswahn! Hintergrund, geduldige Beobachtung: unwichtig. Aber die Aktualität ist doch nur, was außen ist, die Schablone. Wir leben mittlerweile einem System, in dem Intendanten qua Abstimmung über Sendungen entscheiden, und bei denen herrscht die Angst vor, von den Privaten an die Wand gespielt zu werden.

Liebäugeln Sie manchmal mit der Fiktion, also dem Spielfilm?

Oh ja! Ich hab' die Regisseure ja immer beneidet: die merken beim Drehen, die Wirklichkeit läuft ein bissel anders, und dann setzen die sich hin und schreiben die Szene um. Interview: C.K.

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