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Nach Algier kehrte die Gewalt zurück

Über Nacht griff wieder die Armee ein/ In von der Islamischen Heilsfront geführten Rathäusern sollen statt religiöser Sprüche und grüner Fahnen wieder Präsidentenporträt und Staatsflagge hängen  ■ Aus Algier Franz Reppert

„Willkommen in Beirut!“ ruft der schlaksige Junge und strahlt über das ganze Gesicht. „Hier herrscht Krieg.“ In der rechten Hand einen Stein, in der linken ein flaches Tuch, um sich gegen Tränengas zu schützen, wartet er mit seinen Freunden an einer verlassenen Straßenecke. „Wenn du dort entlanggehst“, lacht ein anderer und deutet Richtung Ratsgebäude, „bist du tot.“

Über Nacht ist die Gewalt zurückgekehrt nach Bab El-Oued, dem alten Arbeitervorort westlich des Stadtkerns von Algier und Hochburg der Islamisten. Wo noch vor zwei Tagen — nach den Festlichkeiten des A'id — Frauen in westlichen Kleidern durch die Straßen flanierten, rannten gestern die Menschen in Panik von Hauseingang zu Hauseingang.

Stein des Anstoßes war das Ratsgebäude von Bab El-Oued, ein unscheinbarer Betonbau nicht weit vom Meer. „Islamische Gemeinde“ steht in großen arabischen Buchstaben über dem Portal. Wie in allen Gemeinden, in denen die Islamische Heilsfront (FIS) vor einem Jahr die ersten freien Kommunalwahlen in der Geschichte Algeriens gewann, sind auch hier die Insignien des algerischen Staates verschwunden.

Doch nach dem Willen der Militärbehörden soll dies nun anders werden. Seit einigen Tagen werden alle algerischen Gemeindeverwaltungen aufgefordert, „separatistische“ Sprüche von ihren Wänden zu entfernen und wieder wie in alten Zeiten ihre Portale mit der FLN-Parole „Durch das Volk und für das Volk“ zu versehen. Die Staatsfahne soll wieder vor dem Ratsgebäude wehen, das Porträt des Staatspräsidenten wieder die Amtsstuben zieren. In einigen Gemeinden im Landesinneren ist die Anweisung befolgt worden — doch in Algier stößt dies noch auf großen Widerstand.

„Wenn die Armee das will, soll sie kommen und es machen“, hatte Abu Usamma, Vizepräsident des Rates von Bab El-Oued, noch am Montag gegenüber der taz gehöhnt. Die Armee kam noch in derselben Nacht. Um vier Uhr morgens soll es unbestätigten Augenzeugenberichten zufolge Tote und Verletzte bei Zusammenstößen zwischen Soldaten und FIS-Aktivisten vor dem Polizeikommissariat gegeben haben. Den gesamten Vormittag über waren die Straßen um das Ratsgebäude hermetisch abgeriegelt.

Ob jetzt tatsächlich die Parole „Durch das Volk und für das Volk“ über dem Portal des Gebäudes steht, läßt sich nicht nachprüfen. Das Volk von Bab El-Oued jedoch baut Straßensperren aus Baumstämmen und umgestürzten Bushaltestellen und richtet sich auf eine lange Nacht ein. Am Strand steht das Militär und feuert von dort aus Tränengas in die engen Gassen. Der algerische Rundfunk berichtet, nahe der tunesischen Grenze sei es zu schweren Zusammenstößen zwischen 500 Anhängern der FIS und der Polizei gekommen. — „Normalisierung“ im algerischen Ausnahmezustand.

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