: Alternative zu Kippenberg
■ Schüler wollen „Lernfreiheit statt Unterrichtszwang“
„Wir haben es satt“, heißt es klipp und klar auf dem Flugblatt des „Aktionsforum Kippenberg“, und gestern früh um halb acht waren die Aktivisten vor Ort, um die ankommenden MitschülerInnen abzufangen: „Lernfreiheit statt Unterrichtszwang“ stand auf einem großen Transparent, Das „A“ von Demokratie wurde schön rund umrandet. Kein Unterricht, sondern (selbstorganisierte) „Projekte“ war die Devise.
Die meisten der SchülerInnen waren von der gut vorbereiteten Aktion genauso überrascht wie die Lehrerschaft und machten spontan mit: Die einen zogen direkt in die City, die anderen drängten sich zu selbstorganisierten Arbeitsgruppen über „Theater“, „Massage/Autogenes Training“, zu „Drogen“, „Philosophie“ oder „Selbstverteidigung“ — die Liste der „Projekte“ umfaßte dreißig Titel.
Mittags um zwölf war dann Generaldebatte in der Aula. Wie kann man die Schule verändern? Schüler und Lehrer müßten gleichberechtigt sein, forderte einer. Nachdem er acht Jahre Kippenberg „abgesessen“ habe, habe er weniger Phantasie und Kreativität als vorher, gestand ein anderer. „Ich habe in der Schule gelernt, mich unterzuordnen, aber ich fühle mich nicht unterdrückt“, war prompt die Antwort. Seinen Willen durchsetzen zu lernen könne einem später nur nützlich sein „in unserer Managergesellschaft“, warf einer ein. Es sei ja nur eine Utopie, jeden zu Kreativität und Freiheit erziehen zu wollen, widersprach ein anderer: „Es kann nicht jeder an der Spitze stehen“. Viele wollten eher Sicherheit als Freiheit, räumte eine ein, aber warum fördert die Schule die Selbständigkeit nicht stärker und überläßt ihnen die Entscheidung, ob sie eine Lebensperspektive in Abhängigkeit wählen oder eine unabhängige?
Fast zwei Stunden ging es in der von einer Schülerin souverän geleiteten Debatte hin und her. Einigkeit herrschte über den Ansatz der „Projekte“. Der Unterricht dürfe nicht auf die Lehrer zentriert sein, SchülerInnen müßten mehr mitbestimmen. Zwar wollte keiner im Saal die klare Konfrontation mit den Lehrern, Hoffnung scheinen aber die wenigsten zu haben. „Wir haben hier eine relativ konservative Lehrerschaft“, erklärte eine Schülerin das Dilemma. Und viele 68'er, „die sind total frustriert und haben keinen Bock mehr auf uns.“ Das Durchschnittsalter der LehrerInnen am Kippenberg ist bei 48 Jahren angelangt, „mit einer großen Anzahl der Lehrer ist der Dialog nicht möglich.“
Ein anwesender Lehrer bot den Dialog an und dokumentierte gleichzeitig die Haltung, gegen die die SchülerInnen verzweifelt anrennen, mit dem Ausspruch: „Utopisches wird man in dem derzeitigen System nicht verwirklichen können.“ K.W.
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