piwik no script img

Drogenkampf wird zur Todesfalle

■ Erneuter Tod eines Tegeler Häftlings durch Heroinüberdosis/ Gefangene protestierten mit Dachbesetzung/ Justizsenatorin wird Vernachlässigung der Fürsorgepflicht vorgeworfen

Reinickendorf. In der Tegeler Haftanstalt ist gestern erneut ein Gefangener gestorben, der sich vermutlich eine Überdosis Heroin injiziert hatte. Nach Angaben der Justizpressestelle wurde der 44jährige Mann am frühen Morgen mit einer Spritze im Arm tot in seiner Zelle aufgefunden. Sollte sich der Verdacht auf Drogentod bestätigen, wäre dies in diesem Jahr das zweite Drogenopfer in einer Berliner Haftanstalt.

Aus Protest gegen die Besucherkontrollen, die von der Justizverwaltung zur Bekämpfung des Drogenhandels in Tegel angeordnet wurden, kam es gestern morgen zu einer Dachbesetzung im Tegeler Knast. Vier Gefangene aus der ehemaligen DDR bestiegen am frühen Morgen, als sie im Knast zur Arbeit ausrückten, ein Baugerüst und besetzen das Dach der Hauskammer II. Auf einem mitgeführten Transparent forderten sie »die Einhaltung von Menschenrechten«. Die vier Gefangenen wurden am Mittag von 15 Beamten »ohne Gewaltanwendung« heruntergeholt, wie Justizsprecherin Burghart auf Nachfrage sagte. Die vier Gefangenen hätten auf eine vorgefertige Presseerklärung mit einem Forderungskatalog verwiesen, die im Besitz eines Gefangenen in der Tischlerei sei. Der Gefangene in der Tischlerei habe sich davon jedoch überrascht gezeigt. Die Dachbesteiger sollen Burghart zufolge heute erneut vernommen werden.

Wie die taz gestern aus mehreren Gesprächen mit Gefangenen erfuhr, herrscht in Tegel großer Unmut über die angordneten Maßnahmen zur Bekämpfung des Drogenhandels. Kritisiert wurde weniger, daß jetzt endlich etwas gegen den Drogenschmuggel unternommen wird, sondern die Art des Vorgehens. So würden bei den Besuchern Stichkontrollen bis hin zur Leibesvisitation und erneute Kontrollen nach dem Gang auf die Toilette durchgeführt. Beamte hingegen würden keineswegs regelmäßig kontrolliert, hieß es. Dabei, so ein Gefangener der Gesamtinsassen-Vertretung (GIV), »ist bekannt, daß von vier Beamten, die in letzter Zeit beim Drogenschmuggel ertappt wurden, die doppelte Menge an Drogen nach Tegel gebracht wurde wie von Besuchern«. Das habe Justizstaatssekretär Borrmann am Dienstag in einem zweieinhalbstündigen Gespräch mit Vertretern der GIV in Tegel bestätigt. Die GIV- Vertreter fordern eine verstärkte Kontrolle der Beamten und der LKWs und PKWs, die auf das Anstaltsgelände fahren.

Sämtliche Gefangenen, mit denen die taz gestern sprach, berichteten von katastrophalen Zuständen in Tegel, seit das Heroin durch die Kontrollen knapp geworden sei. »Zahlreiche Gefangene sind so auf Turkey, daß sie kurz vor dem Abkippen sind«, erklärte ein Insasse. »Wenn es dann plötzlich mal wieder Stoff gibt, wird es gefährlich.« So wurde auch der Tod des 44jährigen Gefangenen erklärt, der gestern vermutlich an einer Überdosis starb. Die Gefangenen werfen Justizsenatorin Limbach vor, daß sie ihrer Fürsorgepflicht nicht nachkomme, indem sie Maßnahmen zur Milderung des plötzlichen Drogenentzugs anordne. Gefordert wurde eine Verstärkung der ärztlichen Betreuung und der Therapieangebote.

Auch der rechtspolitische Sprecher von Bündnis 90/ Grüne, Albert Eckert, warf Limbach gestern vor, daß sie mit ihrer konzeptionslosen Drogenbekämpfungspolitik in Tegel »eine Todesfalle provoziert«. plu

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen