: „Halb Engel, halb Pferd“
■ Ein Nachruf auf Jean Arthur
Sie war die ideale Heldin für die aberwitzigen Komödien der Roosevelt-Ära: optimistisch und furchtlos. In den Dreißigern verkörperte Jean Arthur das moralische Zentrum ungezählter screwball comedies, spielte Frauen, die mit beiden Beinen auf der Erde standen, während sich die Männer um sie herum als sympathische Wirrköpfe und Exzentriker entpuppten.
In den Filmen Frank Capras, dessen Lieblingsschauspielerin sie war, öffnete sie als lebenskluge, zynische Heldin den Idealisten Gary Cooper und James Stewart die Augen für Betrug und Korruption. In den Komödien Mitchell Leisens und George Stevens' brillierte sie als schlagfertiges Mädchen aus der Arbeiterklasse, das sich von keinem Mann — auch keinem Millionär! — zum Narren halten läßt. Dieses Privileg sollte Cary Grant in Hawks' Only Angels have wings vorbehalten bleiben.
Sie spielte Frauen, die sich zunächst durch ihre Moralbegriffe definierten und dann erst durch ihre romantische Verfügbarkeit. Sie war attraktiv, ohne für ihre männlichen Partner eine sexuelle Bedrohung darzustellen: Keine andere Hollywood- Heroine hat so häufig und andauernd platonische Film-Beziehungen unterhalten wie sie. Auch in das geschlossene Universum männlicher Kameradschaft in Hawks Only Angels have wings wurde sie als (beinahe) gleichwertiger weiblicher Komplize aufgenommen. Und jeder Komödienplot war eine Herausforderung an ihren munter-eigenbrötlerischen Pragmatismus, der alsbald einer verliebten Ausgelassenheit Platz gewähren mußte.
Sie hatte Glück, daß einige der gescheitesten Drehbücher dieser Zeit — von Preston Sturges, Norman Krasna, Garson Kanin — für sie geschrieben wurden. Auf diese Weise gehören ihr einige der schönsten Momente des Hollywoodkinos der Dreißiger und Vierziger. Etwa in Easy Living: Wie sie sich als kleine Büroangestellte mit nachsichtigem Lächeln über die Rechenversuche eines Wall-Street-Magnaten amüsiert. Wie sie ihr Sparschwein schlachten muß, aber nicht, ohne ihm zuvor die Augen verbunden zu haben. Oder wie sie — von einem irrwitzigen Schicksal in die Luxussuite eines mondänen Hotels verschlagen — inmitten der puttenverzierten Badewannen und seidenüberzogenen Betten Stellenanzeigen liest. Wie sie in Mr. Smith goes to Washington einen beschwipsten Heiratsantrag macht. Und sich einmal, Jimmy Stewarts Idealismus übernehmend, genau wie dieser an die Hutkrempe faßt. Und wie sie in The more the merrier, der ersten Wohngemeinschaftskomödie, versucht, sich den beharrlichen Annäherungsversuchen Joel McCreas zu entziehen, und dabei nie ihre erotische Ausstrahlung verliert.
Erfolg und Starruhm hatten in ihrer Karriere lange auf sich warten lassen. Sie begann als Modell und spielte bereits im Alter von 18 Jahren, 1923, unter der Regie von John Ford eine erste Filmrolle. Bis zum Ende der Stummfilmzeit hatte sie in gut dreißig Filen mitgewirkt, der Tonfilm hätte ihrer Karriere indessen beinahe ein vorschnelles Ende gesetzt: Ihre heisere Stimme, die auch in höheren Oktaven noch wundervoll klingen konnte und deren Timbre manch doppeldeutigem Dialog ungeahnte Nuancen hinzufügen sollte, entsprach damals nicht dem Zeitgeschmack. Überhaupt war sie als Typ für die Studios nur schwer einzuordnen, ihre Kinnpartie war vielleicht etwas zu kräftig, außerdem besaß sie (wie viele Hollywoodschönheiten) kein symmetrisches Gesicht. Harry Cohn, der ungehobelte Chef des Studios, dessen größter weiblicher Star sie in den späten Dreißigern werden sollte (Columbia), spottete anfangs über ihr Gesicht: „Half of it's an angel, and the other half's a horse.“
Nach dem Krieg fiel es ihr zunehmend schwer, geeignete Rollen zu finden. In A Foreign Affair spielte Billy Wilder die europäische Abgeklärtheit Marlene Dietrichs gegen ihre Bodenständigkeit aus; der Zyniker Wilder hatte wohl lange schon geargwöhnt, daß in ihr eine verbissene Puritanerin schlummerte. Die Farmersfrau, die sich in George Stevens großspurigem Western Shane in den Titelhelden verliebt, sollte ihre letzte Kinorolle bleiben.
Die auf der Leinwand unvergleichlich temperamentvolle Schauspielerin, im Privatleben geradezu neurotisch schüchtern, starb in der letzten Woche in Carmel, Kalifornien. Gerhard Midding
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