piwik no script img

Madegassen tanzen für Demokratie

Auf Madagaskar demonstrieren die Bürger seit zwei Wochen gegen die sozialistische Regierung/ Präsident Ratsiraka raucht Havanna und findet die Situation ganz normal  ■ Von Willi Germund

Johannesburg (taz) — Zwei Wochen, nachdem auf Madagaskar massive Demonstrationen der Opposition begannen, schwirren in der Haupstadt Antananarivo die Gerüchte. Das Verlangen nach Reformen an der sozialistischen Verfassung des Inselstaats scheint nicht schwächer zu werden. Die Demonstrationen werden eher größer. Einige Berichte sprechen von 250.000 Teilnehmern bei den Protesten vor dem „Hotel de Ville“, dem alten Rathaus von Antananarivo. Sie singen, sie tanzen, spielen Theater und verlangen eine Reform der seit 15 Jahren bestehenden sozialistischen Verfassung.

Die bisher einzige öffentliche Reaktion von Präsident Didier Ratsiraka: eine lange Havanna-Zigarre schmauchend, erklärte er gegenüber einem französischen Fernsehsender, die Proteste seien eine völlig normale und demokratische Sache. Nach außen gibt er sich immer noch gelassen. Die vergangenen Tage verbrachte Ratsiraka auf dem Land. Er scheint sich sicher zu fühlen, da die Schlüsselpositionen der amtierenden Regierung unter etwa 20 seiner engsten Verwandten aufgeteilt sind. Aber Diplomaten zweifeln an der Loyalität der 21.000 Mann starken Sicherheitskräfte. Sie werden von einem Verwandten des Präsidenten befehligt, seit 1986 die komplette Militärführung Madagaskars bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz ums Leben kam.

Mittlerweile aber haben die Demonstrationen bereits auf andere Städte des rund zwölf Millionen Einwohner zählenden Inselstaats im Indischen Ozean übergegriffen. Ein Generalstreik legte Teile der Hauptstadt lahm. Das Oppositionsbündnis „Komitee der aktiven Kräfte“, das im Volksmund „Force Vive“ oder „La Platforme“ genannt wird, behauptet, 16 politische Parteien und über 50 soziale Organisationen hinter sich vereinigt zu haben, und zeigt bisher keine Anzeichen für Protestmüdigkeit. Täglich machen Oppositionsführer Manadafy und der Pastor Richard Andriamanjato weiter Stimmung.

Die Insel 400 Kilometer vor der Küste des afrikanischen Staats Mosambik wurde 1960 von Frankreich in die Unabhängigkeit entlassen. Madagaskar gilt als eines der ärmsten Länder der Welt. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt nur 53 Jahre, 75 Prozent der Bevölkerung leben von der Landwirtschaft, ein Drittel der Bevölkerung sind Analphabeten.

Seit der Unabhängigkeit lebt der Inselstaat mit politischer Unruhe. Der seit 1975 regierende Admiral Didier Ratsiraka ließ im Dezember 1984 blutige Unruhen mit heftiger Artillerie ersticken. 50 Menschen kamen ums Leben. Anlaß: Madagaskars Regierung ging gegen die Kung- Fu-Sekte vor. Sie hatte mit ihrem von dem Filmhelden Bruce Lee inspirierten martialischen Kult rund 10.000 Anhänger um sich versammelt und war teilweise zum Staat im Staate geworden.

1989 „eroberten“ sechs Leute den Radiosender Radio Madagasikora und verkündeten einen Coup. Er blieb ebenso erfolgslos wie ein ähnliches Unterfangen im Mai 1990.

Staatsoberhaupt Ratsiraka liberalisierte Madasgaskars politisches System bereits im März 1990. Neben der Regierungspartei Arema machen seitdem vor allem drei Oppositionsparteien von sich reden. Ob der Staatschef aber bereit ist, dem gegenwärtigen Druck auf der Straße nachzugeben, weiß in Madagaskar gegenwärtig niemand. Bekannt wurde lediglich, daß er sich mit der französischen Botschaft in Verbindung setzte. Paris unterhält nach wie vor enge Kontakte zu seiner ehemaligen Kolonie.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen