: Die Bürger-Avenue im steingrauen Rollbergland
■ Eine Ausstellung gibt »Einblicke in die Geschichte der Schillerpromenade«/ Das Bürgerquartier zur Imageaufwertung der Arbeiterschlafstadt
Neukölln. In den sechziger Jahren hätte die Schillerpromenade ihren Namen beinahe für die Stadtautobahn hingeben müssen: Ausfahrt Schillerpromenade. Damals plante der Senat die Osttangente, eine Autobahn von Kreuzberg durch die Hasenheide nach Buckow. Dafür hätte die Oderstraße, eine Parallelstraße der Promenade, weichen müssen. In den Siebzigern wurden die Planungen aufgegeben. Schön so, denn mit der Autobahn und ihrer Lärmlawine wäre auch der leicht südländische Charme der einzigen breiten, viele Frei- und Grünflächen bietenden Avenue im Neuköllner Staub- und Steingrau verschwunden. Eine kleine Ausstellung des Bezirksamts widmet sich der Entstehungsgeschichte der Schillerpromenade und des sie umgebenden Quartiers. Sie wurde von drei StudentInnen vom TU-Fachbereich Regional- und Stadtplanung konzipiert.
Die Schillerpromenade und ihre Seitenstraßen sind ein Beispiel sehr frühen »städtebaulichen Fortschritts«. Der schnell voranschreitende Mietshausbau der Gründerepoche sollte mit einem durchgeplanten, in sich geschlossenen Raster in geordnete Bahnen gelenkt und aufgelockert werden. Ein Gegenentwurf zur Arbeiterschlafstadt gegenüber, dem engbebauten Rollbergviertel, das in den 70er Jahren als eines der ersten Berliner Stadtviertel voreilig kahlschlagsaniert und ab 1974 neubebaut wurde. Mit der aufgelockerten Bebauung sollten auch »wohlhabendere Bürger« und damit »kräftigere Steuerzahler« angelockt werden — Imageverbesserung. Noch heute gibt es in der grünen Schillerpromenade Reste davon: Trink-Ecken, von Sträuchern geschützt, Schlafplätze für Berber und viel Spielraum für Kinder. Ein wenig vom alten Charme ist geblieben, auch wenn die Einzelhandelsgeschäfte verschwunden sind.
Als Berlin noch weit weg war, hieß die Gegend »Erster Schlag des Berglandes«. Da war die Hermannstraße, heute eine Anreihung von Supermärkten, noch die alte Post- und Heerstraße nach Dresden über Mittenwalde. Sie führte durch unbebautes Ackerland. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs das Ackerbürgerdorf Rixdorf stark. 1899 galt es als »größtes Dorf bei Berlin« und hatte 85.000 EinwohnerInnen. Später wurde daraus die »Großstadt« Neukölln. Zur gleichen Zeit weitete sich die »berüchtigte« Mietshausbebauung Berlins bis zum Kottbusser Tor, der Zollgrenze, aus. Um 1870 herrschte eine katastrophale Wohnungsnot, die der Spekulation Tür und Tor öffnete. Auf den Rollbergen entstand ein Mietshausquartier mit kleinen Wohnungen und Hoftoiletten.
Auf der anderen Seite der Hermannstraße kauften sogenannte »Terraingesellschaften« 35 Jahre vor der eigentlichen Bebauung der Schillerpromande die Ackerparzellen am Tempelhofer Feld auf. Sie hofften auf den schnellen Gewinn. Ein Bankier und ein Fabrikbesitzer begannen, an der Hermannstraße Eckhäuser zu errichten — »Musterhäuser« der Spekulanten für das Schillerquartier. 1888 — 17 Jahre vor der eigentlichen Bebauung — standen die Planungen für das Outfit eines »einheitlichen, geschlossenen« fast reinen Wohnviertels fest. Kernstück war der runde Herrfurthplatz mit der Genezareth-Kirche.
Die Freiflächen und die lockere Bebauung, aber auch die Grundstücke für die Schulen mußten den Terraingesellschaften von der Gemeinde hart abgetrotzt werden. Sie nahm erheblichen Einfluß auf die Planungen. In den Häusern waren von Beginn an zumindest in den Vorderhäusern relativ große 2- bis 3-Zimmer-Wohnungen vorgesehen — meist mit Innentoilette, manchmal auch mit Bad. Problematisch wurde die Wohnsituation im Schillerquartier trotzdem. Weniger wegen der Ausstattung der Wohnungen als wegen des hohen Mietzinses, der — freundlich ausgedrückt — zu »Überbelegungen« führte.
Neben der Enstehungsgeschichte bringt die Ausstellung auch historische Details: Etwa über die Verstümmelung des Turms der Genezareth- Kirche. Er wurde in mehreren Schritten verkürzt. Zunächst wegen des Militärflugverkehrs während des Zweiten Weltkrieges von 62 auf 38 Meter. Weitere 16 Meter mußten wegen der alle zwei Minuten einfliegenden Rosinenbomber während der Blockade weg. Jetzt ist das Gotteshäuschen nur noch so hoch wie die Wohnhäuser.
Um die Jahrhundertwende wurde das Schillerquartier von regelrechten Sandstürmen heimgesucht. Der wehte vom Tempelhofer Feld herüber, das damals noch kein Flughafen war. Die Armee des Kaisers hielt dort ihre Paraden ab, was zum völligen Verschwinden der Grasnarbe führte. Als Wall gegen den Sand wurde 1914 an der Oderstraße ein Gehölzstreifen angelegt, der in den 20er Jahren zu einem riesigen Volks- und Sportpark ausgebaut wurde. Stadien, Wiesen, Planschbecken dehnten sich auf einem anderthalb Kilometer langen und 300 Meter breiten Streifen aus. Im Winter wurde hier gar Ski gefahren. Leider mußte der Park schon in den 30ern der Erweiterung des Flughafens weichen.
Verschwunden sind auch die großen Vergnügungstätten und Kinos an der Hermannstraße, wie die »Victoria-Säle« und der »Mercedes-Palast«. Auch von den »Kindl-Festsälen«, die einst einen Sommergarten mit 10.000 Plätzen boten, ist nur noch ein kleiner Rest übrig. Jetzt herrschen dort Woolworth und Wienerwald.
Doch die Ausstellung will nicht nur rückschauen und nachtrauern. Sie spricht sich zum Beispiel vehement für eine Erhaltung der ausgedehnten Kirchhöfe (Friedhöfe) im Süden des Quartiers aus — als »grüne Lunge« und Parklandschaft. Denndort will der Senat gegen den Willen des Bezirks Wohnungen bauen lassen. Dies sei eine »Nachverdichtung« der umzubettenden Toten, die dann ja mit dem verbleibenden Friedhofsraum auskommen müßten. Auch solle das Kopfsteinpflaster der Straßen im Quartier erhalten bleiben. Die Promenade selbst solle wieder hergestellt werden wie früher. Kritisiert wird auch die Planung eines Hotel- und Geschäftszentrums auf dem Gelände der Kindl-Festsäle sowie der nach der Hauptstadtentscheidung verstärkt drohende Fluglärm des neuen Regierungsflughafens Tempelhof.
Die AusstellungsmacherInnen warnen vor der »Verteufelung der Mietshausquartiere«. Stadtplanung habe schon zu oft »historische Strukturen zerstört«. Bei entsprechender Sanierung könne die Bebauung im Schillerquartier »noch einmal 100 Jahre halten«. Doch für diese Stadterneuerung müßten dringend mehr Fördermittel lockergemacht werden. Im Gegensatz zu Kreuzberg und Charlottenburg friste Neukölln ein »Schattendasein«, was Finanzen und Öffentlichkeit angehe — obwohl allein Neukölln 44 mit 150.000 Menschen fast genauso viele Einwohner habe wie Gesamt-Kreuzberg.
Ob allerdings diese schöne, kleine Ausstellung uns JogginghosenträgerInnen, Hundefans, REP-WählerInnen und vereinzelte Linke aus Neukölln ins Senatsbewußtsein bringt, ist fraglich. Vielleicht ist das auch besser so. Aber Schultheiss macht auch Trost. kotte
Einblicke in die Geschichte der Schillerpromenade noch bis zum 7. Juli. Öffnungszeiten: Montag und Freitag 10 bis 15 Uhr. Dienstag bis Donnerstag 14 bis 20 Uhr. Vor- Ort-Büro der Stadterneuerung, Schillerpromenade 10, Berlin 44. Später in der Commerzbank Hermannstraße 207.
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