: Hassemer, Fischer und Narva-Light
■ Das Berliner Glühlampenwerk (BGW) und Dieter Binningers Lampenfirma Vilum — 10. Lieferung
Am Freitag vergangener Woche wurden sechs Ökologie-Initiativen bzw. neue Produktentwicklungen von Senator Hassemer mit dem »Berliner Umweltpreis 1991« ausgezeichnet. Darunter auch das Berliner Glühlampenwerk. Und wo immer Narva-Licht erstrahlt, ist die Berlin-Kultur nicht weit. Ein Bericht der Künstlergruppe Bild kämpft für NARVA
Sechs Blumensträuße überreichte der freundliche Umwelt- und Stadtentwicklungssenator:
1.Dem Wassersportverein Tegel Süd e.V., der statt einen Bootssteg anzulegen, einen Uferstreifen mit Kleinröhrrichten und Röhrrichtkräutern bepflanzte, »in dem sich Krebse, Frösche, Stichlinge und verschiedene Libellenarten ansiedelten« (»eine Sprudelanlage verhindert Algenbildung«).
2.Der Firma Diessner GmbH und Co KG, die ein Verfahren zur Wiederverwendung von Farbschlämmen als Rohstoff für die »Produktion von Putzen und Spachtelmassen« entwickelte, wodurch sich jährlich 40.000 bis 60.000 kg Farbabfälle vermeiden lassen.
3.Der Firma Arc-Line, die Messe- Stellwände aus Altpapier herstellt, welche im Gegensatz zu vielen anderen »wiederverwendet und vor allem wiederverwertet werden können«.
4.Der Firma Schering AG, Betriebsanalytik, deren Mitarbeiter Dr. Junghans ein Verfahren erfand, mit dem bei der Synthese eines Antigestagens nunmehr Wasser anstelle von giftigen Methylenchlorid verwendet werden kann.
5.Der Firma Semperlux GmbH und der Technischen Fachhochschule, die zusammen ein »dimmbäres elektrisches Vorschaltgerät für Leuchtstofflampen« patentierten, womit bei gleichbleibendem Lichtstrom eine Verminderung der elektrischen Leistungsaufnahme von bis zu 30 Prozent möglich wird.
6.Dem Berliner Glühlampenwerk Narva GmbH, dessen Ingenieur Dietmar Zinnow eine quecksilberfreie Natrium-Hochdrucklampe entwickelte, deren Lichtausbeute zwar ein wenig geringer als bei einer quecksilberhaltigen Natriumhochdrucklampe ist, die aber im ausgebrannten Zustand laut Senator Hassemer »keine umweltschädigenden Bestandteile enthält und deshalb vollständig recycelt werden kann«.
Nur im Osten wurde wirklich recycelt
Das hört sich zwar gut an, aber weiß der Umweltsenator bzw. seine von ihm als »hochrangig und zuverlässig« bezeichnete Jury, was sie da sagen? Im Gegensatz zu den meisten dumpfen Westjournalisten waren wir bisher davon ausgegangen, daß nur im Osten wirklich recycelt wurde und wird, während man im Westen immer nur diesen dämlichen Amibegriff verwendete. Wir sprachen in diesem Zusammenhang bereits von der grünen Recycling-Lüge und wollten damit sagen, daß es in einer profitorientierten Wirtschaft so etwas in Wirklichkeit nicht geben kann, in einer Mangelwirtschaft dagegen geben muß: So wurde z.B. bei Narva bis zur Wende das Quecksilber aus den kaputten Lampen wiederverwendet — um Devisen zu sparen. Aus ähnlichen Sparsamkeitsgründen verwendete man dort bei der Herstellung von Plastsockeln für Energiesparlampen ein Regranulat — also wiederaufbereitetes Altplastik. Bei Narva ist man froh, daß man seit der Wiedervereinigung diesen ganzen Murks nicht mehr nötig hat. In Rußland dagegen hat sich die Situation seitdem derart verschärft, daß die Bürger schon aufgefordert wurden, ihre durchgebrannten Glühlampen zurück in die Fabrik zu bringen, damit man sie dort wieder aufbereiten kann.
Noch schlimmer sieht es in Rumänien aus, wo es einfach fast gar keine Glühlampen mehr gibt: Im Hotel bekommt man mit dem Zimmerschlüssel eine 45-Watt-Birne ausgehändigt, ansonsten wird es in den Straßen — wie überall im Ostblock — langsam immer dunkler, außer in Ost-Berlin, wo die Bewag jetzt bzw. demnächst 25.000 zusätzliche Lampen aufstellen wird: »Der Osten Berlins wird endlich heller«, titelte die zum 'Kurier am Abend‘ gewestete 'BZA‘. Das dies wahrscheinlich mit Natriumdampf-Hochdrucklampen von Osram und nicht von Narva geschehen wird, sei hier nur am Rande vermerkt. Vor einigen Wochen sprachen wir darüber mit dem Leiter der Lichttechnik bei der Bewag, Dr. Heissler, u.a. wurde dabei auch das Thema »Recycling« gestreift: die Natriumdampflampen sowie die Leuchtstofflampen (letzte machen 70 Prozent des Gesamtlampenbestandes in West- Berlin aus, erstere etwa 80 Prozent in Ost-Berlin) werden alle zwei bis zweieinhalb Jahre, d.h. nach 8.000 bis 10.000 Stunden ausgewechselt: »Wir sind gehalten, diese Lampen auch zu entsorgen. Die Berliner Stadtreinigung hat dafür auch die Anlagen, seit etwa drei Jahren, die sind zwischendurch immer wieder verbessert worden. Das ist dort aber kein Recycling, d.h. Wiederverwendung von Rohstoffen. In diesen Anlagen wird zunächst einmal nur getrennt — Quecksilber abgeschieden, Glasbruch, die Metallteile usw. Diese Komponenten werden dann entsorgt. Man kann sich überlegen, wozu dann der Aufwand, wenn die Stoffe nicht weiterverwendet, bzw. wiederverwertet werden? Warum werden dann nicht gleich die kompletten Lampen deponiert? Das hängt mit den darin enthaltenen Giftanteilen zusammen, mit dem Sondermüll. Nach meiner Erkenntnis war Narva im Erzgebrige wirklich die einzige Stelle, wo wirklich recycelt wurde: zumindest das Quecksilber, das Glas wurde dort auch nicht recycelt: diese Gläser sind ja alle verseucht, sage ich mal, mit Quecksilberdämpfen durchsetzt... Es wäre viel zu aufwendig, das Glas zu reinigen. Alle anderen Firmen, sei es jetzt Osram oder auch im Norden, da gibt es eine ganze Reihe von Recyclern, aber im Grunde deponieren die das nur. Die haben also alle mehr oder weniger aufwendige Verfahren, um die einzelnen Komponenten und Baustoffe zu trennen. Aber dann liegen sie auch eben in der Landschaft herum.«
Fischers wunderbare Doof-Sackgasse
Wir erinnern uns: Die alternativ- grüne Bewegung gipfelte bzw. endete 1980 in dem wahrhaft philosophischen Credo: »Die Mehrkomponentenwertstofftonne ist eine völlige Sackgasse!« (Joschka Fischer) Deutschlands große Konzerne hielten daraufhin per Anzeigen die Journalisten an, eine grüne Parteigründung nach besten Kräften zu unterstützen, und das taten diese auch, denn neben dem üblichen Giftplunder, der unvermindert weiter abgesetzt wurde, bekamen die Firmen jetzt noch jede Menge Staatsgelder, um Entsorgungstechnik, -tonnen, -diskurse, -kommissionen, -plätze, ja sogar ganz neue sogenannte Recyclingfirmen, die die getrennten Gifte im Osten bzw. in Afrika entsorgten, zu begründen. Ein Riesengeschäft — dank Fischers wunderbaren Doof- Sackgassensatz! Ein Beispiel: Diese völlig bescheuerten Energiesparlampen (umgebogene Neonröhren, die aber wegen des Knicks nicht so heißen und statt 4,40 DM 44 DM kosten) — sie enthalten durchschnittlich 3 bis 5 Milligramm Quecksilber und sind deswegen als Sondermüll deklariert. (Auch bei ihrer Elektronik fällt jede Menge Gift an und ab — aber davon redet schon niemand mehr.) Millionen BürgerInnen sind mittlerweile derart vom grünen Lebensprinzip: immer besser zu leben und dabei immer mehr Umwelt zu schonen — beseelt, daß Osram schon nicht mehr mit der Produktion nachkommt (Narva produziert jetzt diese Dinger für sie, was Osram gegenüber der 'Süddeutschen‘ gar als Ost-Solidarität verkaufte), die Konkurrenz — Philips — läßt dagegen Energiesparlampen in Rotchina herstellen: von zwangsarbeitsverpflichteten Strafgefangenen. Die grüne Sondermüllverordnung ermöglicht diesen Firmen gleichzeitig noch ein weiteres dickes Geschäft: sie verkaufen den Kommunen für diese Lampen sogenannte Recycling-Anlagen. Die Stiftung Warentest rät den Verbrauchern: »Zum Schutz der Umwelt lohnt sich der Weg!« (zu den Anlagen), der Sachbearbeiter dort gesteht aber gleichzeitig ein, daß sie in bezug auf die »Energiesparlampen« anfangs der Werbung der Hersteller ein bißchen »auf den Leim« gegangen seien.
Selbstbetrug aus Solidarität
Was ist nun mit Narvas umweltpreisbedachter neuer quecksilberfreier Natriumdampflampe? Es ist erst einmal eine sogenannte »Altlast«, d.h., sie wurde schon vor der Wende entwickelt — und während der Abschaffung der DDR forciert: Ende 1989 hatte die Mülldeponie Potsdam nämlich Narva mitgeteilt, daß sie keine quecksilberhaltigen Lampen mehr entgegennehmen würde. Erstmalig vorgestellt wurde die Lampe dann auf der Hannover-Messe. Kurz darauf fragten wir Herrn Dr. Heissler von der Bewag, ob diese Narva-Lampe gegenüber den seiner Meinung nach »qualitativ besseren« Osram-Lampen einen Preisvorteil hätte, weil ihre Entsorgungskosten eventuell niedriger wären?
»Also bislang wird bei den einzelnen Lampentypen jetzt noch nicht unterschieden, zu welchem Anteil sie belastende Stoffe haben. Sondern da heißt es eben: Die Leuchtstofflampe kostet in der Entsorgung soundsoviel, die Natriumdampflampe soundsoviel, eine Quecksilberdampflampe soundsoviel... Natrium wird ja freigesetzt, wenn es mit Feuchtigkeit, Wasserdampf sozusagen, in Berührung kommt. Nur ist die Gefahr des Freisetzens dieser Stoffe in den Lampen relativ gering, weil die ja alle noch einmal in einem Quarzbrenner enthalten sind. Ehe sie den kaputtkriegen, da müssen sie wirklich mit einem Vorschlaghammer draufhauen. Die Lampe selber, die äußere Glashülle, geht leicht entzwei, aber der Brenner ist doch sehr stabil.«
Wenn wir das richtig verstanden haben, kostet die quecksilberfreie Natriumdampf-Hochdrucklampe in der Entsorgung — jedenfalls bis jetzt noch — genausoviel wie die quecksilberhaltige Natriumdampf-Hochdrucklampe, außerdem enthält sie natürlich nach wie vor Natrium im Brenner, das auch nicht gerade zu den bekömmlichen Nahrungsmitteln zählt, und recycelt wird bei der Berliner Stadtreinigung sowieso gar nichts. Die ganze Scheiße wird jetzt statt in Potsdam höchstens in Polen deponiert! Kann man also sagen, daß die hochkarätige Jury (»Garant für die Qualität des Umweltpreises« — so Volker Hassemer) schlicht wohlfeilen grünen Ideologiequatsch verbreitete, als sie zu dem Urteil kam: »Die ausgebrannte Lampe enthält keine umweltschädigenden Bestandteile und kann deshalb vollständig recycelt werden«? In der 'Zeit‘ hat Horst Stern gerade dargelegt, daß und warum die Postulierung eines sozusagen friedlichen Miteinander von Ökonomie und Ökologie immer auf eine Propagandalüge hinausläuft, bestenfalls frommer Selbstbetrug ist. Aus schierer Solidarität mit Narva und weil das BGW es schwer genug hat, sich »ökonomisch in der Martwirtschaft durchzusetzen« (Ende des Monats fällt die Verkaufsentscheidung in der Treuhandhauptstelle Ost), wollen wir trotzdem hoffen, daß die neuentwickelte Lampe sich bezahlt macht: »Es bedarf nur noch geringer Anstöße dazu, daß sich das durchsetzt«, meinte der Technische Direktor von Narva, Stephan Müller, im Anschluß an die Preisverleihung im Lapidarium. Hinzugefügt sei, für die Ästheten unter den Umweltschützern, daß die neue Lampe trotz verminderten Giftgehalts »verbesserte Farbeigenschaften« besitzt. Und zum Schluß auch noch ein Hinweis für die unverdrossen an die Möglichkeit der Verbesserung der Lebensbedingungen durch den Staat Glaubenden: Das in Berlin ansässige Umweltbundesamt hat einen Prüfauftrag für »energiesparende, ressourcenschonende« Lampen bekommen. Neben Binningers Langlebensdauerglühlampe wird eine Fachjury dort demnächst auch Narvas quecksilberfreie Natriumdampflampe prüfen. Für das BGW gilt dann in etwa dasselbe, was Dieter Binninger bereits Anfang des Jahres in einem Interview kurz vor seinem Tod da äußerte: »Ich bin mal gespannt: Wenn da nicht Osram wieder das Sagen in der Jury hat, dann haben wir eine gute Chance, den Blauen Engel zu bekommen.«
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