: Zeitschriften: Schreibheft/Die Republik
WILLI WINKLER
I write precisely as I please, ich schreibe genau wie es mir gefällt, ich schreibe genau, wie es mir gefällt, ich schreibe, wie es mir gefällt, aber genau, ich schreibe nach meinem Geschmack richtig, ich schreibe wie es mir gefällt oder gar nicht.“ So versucht Uwe Nettelbeck in seiner 'Republik'-Nummer über Herman Melville dessen Ästhetik zu übersetzen, und jede Version ist wohl richtig.
Melville, der Bestsellerautor von Typee, von Omoo und Weißjacke, wollte nicht mit seinen Südseegeschichten Erfolg haben, wollte nicht der Mann sein, „der unter den Menschenfressern gelebt hat“, sondern Dante und Homer. Das Unglück wollte es, daß er spät im schreibenden Leben Shakespeares Stücke entdeckte und nun dessen amerikanischer Nachfahr zu werden sich anschickte. Moby Dick, die Geschichte eines Wals war die Folge, und als er damit nicht die gewünschte Anerkennung fand, mit seinem nächsten Buch noch großartiger fallierte, da schwieg er lieber, als daß er sich noch einmal verkauft hätte.
„So weit es sich nur um mich dreht & ich von meinem Beutel unabhängig bin, geht mein größtes Bestreben dahin, jene Art Bücher zu schreiben, von denen es heißt, sie seien ein 'Mißerfolg'“, schrieb er 1849, als er selber noch kaum etwas ahnte von seinem großen Seestück, an seinen Schwiegervater und schickte eine halbherzige Geste der Entschuldigung hinterdrein: „Verzeihung für meinen Dünkel.“ Zwei Bücher hat er allein des Geldes wegen geschrieben, „dazu gezwungen, wie andere Männer zum Holzsägen“. Einem Freund schildert er sein Schreiber- Elend: „Freilich, wenn einen armen Teufel beim Schreiben Schuldeneintreiber umringen, & über seine Stuhllehne blicken — & sich auf seine Feder setzen & in sein Tintenfaß tauchen — wie der Teufel um den Hl. Antonius — was kann man von diesem armen Teufel erwarten?“
Zurückgekehrt aus England, wo er nicht sehr erfolgreich versucht hatte, die britische Ausgabe seiner Weißjacke günstig unterzubringen, setzte er sich am 1. Februar 1850, mit dreißig Jahren, hin und begann sein Alterswerk, indem er das letzte Abenteuer seiner Jugend erzählte, das er noch nicht an seine Leser weitergegeben hatte. Er war 18 Monate auf dem Walfänger Acushnet mitgefahren, und wieder wäre ein feingesponnenes Seemannsgarn draus geworden (und wie hätten ihm die seine Leser aus der Hand gerissen), aber Melville wollte höher hinaus.
„Tran ist Tran, wie Sie wissen; wenn man vielleicht auch Öl draus gewinnt, die Poesie rinnt so zäh wie der Saft aus einem eingefrorenen Ahorn“, schrieb er im Mai 1850 und versprach gleichzeitig: „Und doch möchte ich die Wahrheit drüber bringen, trotz alledem.“
Zur Wahrheit brachte ihn allerdings ein anderer. In jenem Sommer, als das Buch schon so gut wie fertig war, lernte Melville Nathaniel Hawthorne kennen, den Autor des „Scharlachroten Buchstabens“. Offenbar war es Liebe auf den ersten Blick, wenn auch eine einseitige. Melville, der sich immer weiter verfinsternde Geselle, glaubte in dem erfolgreichen Kollegen einen Geistesverwandten gefunden zu haben. Jedenfalls warf er die erste Fassung des Moby Dick fort und schrieb das Buch innerhalb eines Jahres vollkommen neu.
Die Kritiker, die neue Schnurren aus der Südsee erwartet hatten, lehnten Moby Dick als monströs und prätentiös ab — ein Vorwurf, den nur begreift, wer von dem Buch mehr kennt als die handelsübliche, für die Jugend zur Seefahrergeschichte herunterbearbeitete Ausgabe. Vielleicht war es sein Traum, damit den größten amerikanischen Roman geschrieben zu haben, die entsprechende Anerkennung blieb Melville in seinem Jahrhundert jedenfalls versagt.
Wie im Fieber schrieb er, kaum daß Moby Dick(1851) fertig war, den Inzucht- und Schriftstellerroman Pierre. „Es darf bezweifelt werden“, schreibt John Updike in einer Hymne auf Melville, „ob je sonst in der Literaturgeschichte ein so gutes und ein so schlechtes Buch wie Moby Dick und Pierre nacheinander geschrieben wurden.“ Dieser groteske Gewaltakt reichte hin, um den Autor bei seinen Verlegern hoch zu verschulden, ihn schier wahnsinnig zu machen, aber seine Verstocktheit ließ er sich damit nur bestätigen.Im Alter von 37 Jahren hatte er seine Geschichten von der See zu Ende erzählt, seine Jugendabenteuer verarbeitet, weitergereicht an ein Publikum, das er nicht wollte. Wie also weiter?
Seit 1847 war er verheiratet mit der Tochter des Obersten Richters im Staate Massachusetts, und diese reiche Heirat schien ihn wenigstens teilweise wieder in die Rechte einzusetzen, die ihm mit dem Tod des Schwindelunternehmers, zu dem sein Vater wurde, entgangen waren. Der Vater, ein Importeur von europäischen Luxusgütern, starb, wie man sich erzählte, im Beisein seines zwölfjährigen Sohnes bei einem Anfalll, der ihn in seiner geistigen Umnachtung heimsuchte. Mit acht Kindern war die Mutter auf die Unterstützung der reichen Verwandtschaft angewiesen. Mehr als Almosen gab es für die Halbwaisen nicht; erst in den achtziger Jahren, als Melville sich ins Vergessen zurückgezogen hatte, fielen ihm und seiner Frau Erbschaften von den geizigen Nachfahren der Pilgerväter zu. Da war es zu spät, da hatte er sein Holz schon gesägt und sich beinah um den Verstand geschrieben.
Melville vermißte seinen Vater nicht. Der hatte den Siebenjährigen richtig als unbrauchbar fürs amerikanische Handeltreiben eingeschätzt: „Recht zurückgeblieben, was das Sprechen angeht, und etwas begriffsstutzig.“ Die Verelendung zu Hause zwang ihn zu allerlei Tätigkeiten, die später literarisch fruchtbringend sein sollten, zunächst aber nur demütigend waren. Als Matrose, Walfänger, als Meuterer in Polynesien erlebte Melville eine Gemeinschaft, die er später nie mehr fand; in seinen Büchern kommt kaum eine ausgemalte Frauenfigur vor, es sind immer nur Männer, die zusammensitzen und endlos miteinander reden, wie in dem merkwürdigen Spätwerk Ein sehr vertrauenswürdiger Herr.
Vermutlich war er in diesen Jahren aktiver Homosexueller; davon blieb ihm nur das Verlangen nach Freundschaft mit Gleichgesinnten, die so schwer zu finden waren, und, einmal gefunden, siehe Hawthorne, ihm schnell wieder entglitten. Bei seiner Überfahrt nach England 1849 überraschte er die anderen Luxusreisenden damit, daß er noch immer der Kraftkerl sein kann, wenn er es darauf anlegt. „Scheinen mich als Helden zu betrachten, gefeit gegen Wind & Wetter“, schreibt er im Tagebuch. Aber was ist das schon, wenn einer viel höher hinaus will. „Meine gelegentlichen Kunststücke in der Takelage werden als eine Abart der Seiltänzerei betrachtet.“
Seiltanz war auch seine Schriftstellerei; ohne das Geld seiner Frau hätte er nicht weiterschreiben können. Nur sollte er nicht mehr schreiben. Nachdem er mit seinen Büchern nicht mehr die Profite erzielte, die ihn wenigstens finanziell in seinem Stand gehalten hätten, ging er wenig erfolgreich auf Vortragsreisen. Er dozierte vor einem unwilligen Publikum über antike Kultur und, natürlich, die Südsee. Die Zeitungen beklagten, daß des Autors Stimme nicht bis nach hinten durchdringe.
Der reichen Verwandtschaft war er mit seinem nichtkommerziellen Ehrgeiz nicht bloß ein Ärgernis, sondern eine richtige Schande. Er soll seine Frau geschlagen, sich zu Hause tagelang in sein Schreibzimmer eingeschlossen haben, um sich in seine irrsinnigen Projekte zu vergraben. 1857 schickte die Schwiegerfamilie ihn deshalb fort, bezahlte ihm eine Bildungsreise in den Orient.
Melville reiste über England. In Liverpool besuchte er Hawthorne, der dort als amerikanischer Konsul waltete, ein Wahlkampfgeschenk. Gemeinsam spazierten sie im November durch die Dünen, was beim bürgerlich gefestigten Hawthorne in den Tagebüchern so aussieht: „Seine Schriften lassen schon seit geraumer Zeit auf eine ungesunde Geistesverfassung schließen.“ Jedenfalls nichts von der Schriftseller-Solidarität, die sich Melville erträumt hatte, für die er einmal sogar eine Farm in nächster Nähe von Hawthorne gekauft hatte. Dafür Spott. „Melville begann, wie es seine Art ist, über die Vorsehung und das Zukünftige zu räsonnieren, und über alles, was jenseits der menschlichen Erkenntnis liegt, und teilte mir mit, er sei 'ziemlich fest entschlossen, der Vernichtung anheimzufallen‘.“
In seinem Auftreten ist er Seemann geblieben und irritiert damit den Kollegen, der den Aufstieg aus den bedrücktesten Verhältnissen geschafft hat, während der Patriziersohn Melville den Weg nach unten noch nicht lange nicht ganz gegangen ist. Er kam „am nächsten Tag, mit einem winzigen Bündel von Gepäck, das, wie er mir erzählte, nur ein Nachthemd und eine Zahnbürste enthielt. Er ist ein Mann von in jeder Hinsicht edlem Wesen, nur in bezug auf saubere Wäsche ist er ein wenig heterodox“. Im Heiligen Land erlebt Melville offenbar den Tod Gottes und kehrt, gebrochener als zuvor, zurück nach Amerika. Jahrzehnte wird er an seinem Reisebericht Clarel schreiben, einem Langgedicht, das an keinen Leser außer vielleicht an den inzwischen verstorbenen Hawthorne gerichtet ist.
Um des lieben Friedens und seines eigenen Seelenheils willen sollte er bloß nicht mehr schreiben, aber der häusliche Frieden war anscheinend nur zu wahren, wenn man ihn mit seinen Büchern in Ruhe ließ. „Wenn dieser grauenvolle Inkubus von einem Buch... jemals von Hermans Schultern genommen sein wird“, klagt seine Frau der Schwägerin ihr Leid, „mache ich mir Hoffnungen, daß es um seine geistige Gesundheit besser bestellt sein mag.“
Vergebens hatte ihm die Familie 1866 eine Stelle als Zollinspektor im New Yorker Hafen verschafft. Wenigstens war er hier wieder am Wasser, aber er hatte die See und sich längst aufgegeben. Schon 1853 hatte er in der Erzählung vom Schreiber Bartleby sein weiteres Schicksal vorgezeichnet und damit maßlosen Einfluß auf ANdere genommen. 19 Jahre versah Melville für vier Dollar am Tag den Dienst im Hafen, für mehr, als er je mit seinen Büchern verdiente. Nach seiner Pensionierung 1885 setzte ihm seine Frau das Äquivalent als monatliches Taschengeld für den Kauf von Büchern aus. In einer Ausgabe der Aufsätze von Matthew Arnold ist folgende Stelle angestrichen: „Aber für Naturen wie ihn, ausgestattet mit der Leidenschaft für Perfektion, ist die Notwendigkeit zu schreiben, unaufhörlich zu schreiben, zu schreiben mit und ohne Ergebnis, etwas Gutes oder, wie es auch kommen mag, etwas Schlechtes oder Mittelmäßiges zu schreiben, aber unter allen Umständen etwas, — die unerträglichste der Qualen...“
Die unerträglichste Qual war sein Schreibzwang, er wurde verrückt daran. Sein Sohn Stanwix brachte sich mit 18 um, ihn selber konnte nichts mehr aus seiner Schwermut erlösen. „Dollars sind mein Fluch“, hatte er Hawthorne geschrieben, und nie konnte er sich freimachen von dem Kontorbuch-Zwang, seiner Manie mit dem handelsüblichen &. Besuchern erzählte er stolz, daß er kein einziges Exemplar seiner Bücher mehr besitze. Den Sohn Hawthornes, der an einer Biographie seines Vaters arbeitete, beschied er, daß er alle Briefe „gewissenhaft vernichtet“ habe. Wie Bartleby wollte er lieber nicht mehr dabei sein.
Sein Schreibtisch in der Zollbehörde trug die Inschrift: „Halte fest an den Träumen Deiner Jugend.“
Zwei verdienstvolle Publikationen bringen fast alles über Melville:
Schreibheft. Zeitschrift für Literatur 37. „Vom Leichentuch des Meeres - Herman Melville, der Schreiber“. Rigodon-Verlag, Essen. 192 Seiten, 15 DM. Jahresabo (vier Hefte) 42 Mark.
Die Republik. Nummer 82-85/12. Dezember 1988. „More Light, and the Gloom of that Light. More Gloom, and the light of that Gloom“. Verlag Die Republik, Postfach 1106, D-2125 salzhausen-Luhmühlen. 260 Seiten. 44 Mark.
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