piwik no script img

In Berlin hat Pöhl Kreide gefressen

Bundesbankpräsident Pöhl hält sich mit Kritik an der deutschen Währungseinheit sehr zurück  ■ Aus Berlin Donata Riedel

Noch im März hatte Bundesbankpräsident Karl-Otto Pöhl heftige Schelte an der schnellen Einführung der D-Mark in der DDR geübt: Eine „Katastrophe“ hätte die Wirtschafts- und Währungsunion zum 1. Juli 1990 ausgelöst, für die Wirtschaft der neuen Bundesländer sofort, für die Stabilität der D-Mark demnächst. Gestern nun warteten im ehemaligen Parlamentsgebäude der Ex- DDR zu Berlin 300 JournalistInnen aus aller Welt mit Spannung, mit welchen Daten, Zahlen und Fakten Pöhl jetzt, nach einem Jahr Währungseinheit, sein Katastrophen- Szenario wohl ausmalen würde. Doch der Präsident hatte Kreide gefressen und setzte alles daran, die Pressekonferenz der Bundesbank zum Thema Währungsunion zur Routineveranstaltung herunterzuspielen, wie sie nach jeder der monatlichen Zentralbankratssitzungen abzulaufen pflegt.

„Es ist doch müßig, jetzt noch über Alternativen nachzudenken, die damals möglich gewesen wären“, meinte der Notenbankchef amtsmüde — den Job hat er ja zum August gekündigt. „Rein technisch“ sei die Wirtschafts- und Währungsunion doch reibungslos bewältigt worden; den Zahlungsverkehr hätten die 15 Ost-Zweigstellen der Notenbank ganz gut im Griff, bis Ende 1991 wolle man den Geschäftsbanken, die ihr Geld von der Bundesbank beziehen, denselben Service wie im Westen bieten.

Wohl mit Blick auf die Devisenmärkte, die auf allzu kritische Äußerungen des Bundesbankpräsidenten gewöhnlich mit einer „Pöhl-Delle“, dem kurzen Absacken des DM-Kurses gegenüber dem Dollar, reagieren, formulierte er seine Warnungen an die Politiker in Bonn moderat. Die Überweisungen an die neuen Bundesländer sollten in den nächsten Jahren nicht weiter gesteigert werden. „Wir müssen aufpassen, daß wir nicht mehr tun, als wir selbst verkraften können“, so Pöhl. Die 150 Milliarden an staatlicher Aufbauhilfe dieses Jahr seien wohl nicht zu vermeiden gewesen. Pöhl kritisierte aber, daß der Anteil der Investitionen daran zu niedrig sei und zuviel Geld in Lohnsubventionen fließen würde.

Auch sei die Lohnentwicklung in den neuen Ländern für Investitionen „nicht unbedingt förderlich“, so Pöhl, womit er keinesfalls die Gewerkschaften kritisieren wolle: Schließlich hätten den Tarifabschlüssen ja auch die Arbeitgeber zugestimmt. An ihrem Stabilitätskurs will die Bundesbank auf jeden Fall festhalten. Die Leitzinsen in der Bundesrepublik werden also auf absehbare Zeit auf keinen Fall gesenkt. Die Entwicklung einheitlicher Lebensverhältnisse in Gesamtdeutschland sieht die Notenbank als Prozeß, der wohl einige Jahre dauern wird. Aber „There is light at the end of the Tunnel“, beantwortete Pöhl in flüssigem Englisch die Frage eines Journalisten von den Britischen Inseln — bis auf das deutsch ausgesprochene Wort Tunnel. Aber vielleicht war der Fehler ja ein Freudscher. Schließlich klingt der deutsche Tunnel mit seinem dunklen U doch wesentlich düsterer als das englische Pendant.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen