: Wir waschen unsere Lumpen besser selber
Weimar zwischen Kutlurfriedhof und lebendiger Kunststadt/ Wolfgang Knappe setzt auf Akzeptanz und Kommunikation ■ Von Matthias Opatz
Weimar. Der Graphiker und die Hausfrau. Der Regisseur und der Sozialarbeiter. Der Superintendent und die Bibliothekarin. Die Schriftstellerin und der Tiefbauer. Der Bürgermeister und die Schülerin. Die Germanistin und der Rentner... Sechs Dutzend Leute aus Ost und West kamen nach Kromsdorf bei Weimar, alle freiwillig, um ein gemeinsames Wochenende mit Filmen und Diskussionen zu verbringen, als Gleiche unter Gleichen. So wie vor 200 Jahren.
Weimar-Besucher Graf Christian von Stolberg war 1775 reinweg baff, als er Frauen und Männer der Kunst, der Wissenschaft un der Literatur zu geistvollen Gesprächen zusammensitzen sah mit Vertretern des Adels und des Bürgertums, am runden Tisch, an dem es kein oben und kein unten gab, die die Welt bewegenden Fragen erörternd. „Man geht mit ihnen um, ganz als wären's Menschen wie unsereiner.“
Schuld war Anna Amalia von Braunschweig (1739-1804). Als der Herzog von Sachsen-Weimar 1758 starb, übernahm die Gemahlin an Stelle des erst einjährigen Stammhalters die Regentschaft und holte in ihrem jugendlichen Übermut die Kultur in jenes „unselige Mittelding zwischen Stadt und Dorf“, wie Herder Weimar nannte und der doch dort blieb, wie Wieland, Goethe und Schiller auch. Um das große dichterische Viergestirn sammelte sich ein Kreis bedeutender Geister — Lenz, Klinger, Jean Paul, Eckermann, Hufeland, die von Stein und die von Arnim, später Liszt, Richard Strauß, die Bauhausleute Gropius, Feininger, Klee...
Weimar heute. Kultureller Friedhof sagen die einen und führen deutsche, russische, japanische Touristen ehrfurchtheischend durch Goethesche Gemächer. Lebendige Kunststadt rufen die anderen, und führen den Deutschen, Russen, Japanern eben ein mehrwöchiges, von klangvollen Namen der Weltkultur gespicktes II. Weimarer Kunstfest vor.
Mit großzügigen Geldern aus Bonn ausgestattet, wollten die Wessis den Weimaranern mal vorführen, wie so etwas professionell aufgezogen wird, und fielen auf die Nase. Die Anziehungskraft des Spektakels blieb wesentlich unter den Erwartungen. Die weitgehende Ausgrenzung der angestammten, recht zahlreichen Weimarer Künstlergemeinde ist das deutlichste, aber nicht das einzige Symptom deutsch-deutschen Mißverständnisses in dieser Strategie.
Ganz anders das Erfahrungswochenende im (aus dem Vergessen gegrabenen) Schloß Kromsdorf. Selbstfindung für Verständnis, hier versucht über Filmkultur und Kommunikation darüber. Die kinematographischen Diskussionsbeiträge aus Ost und West waren — mit Absicht — paritätisch vertreten. Da waren allen voran Karnick&Richters Was würde Jesus dazu sagen (BRD 1985) und Lothar Warneckes Einer trage des anderen Last (DDR 1988), beide Klassiker, die die Bezeichnug Weltfilm (wie man auch von Weltliteratur spricht) verdienen. Warnecke, heute arbeitslos, war ebenso in Kromsdorf wie der Dok-Filmer Karl Gass, der seinen Streifen Nationalität deutsch (1990) vorstellte. Der ewige deutsche Opportunismus, dessen Personifizierung im Film zugleich authentisch wie übertragbar schien, entfachte ebenso widersprüchliche Dispute wie etwa Weimar. Bilder einer Stadt der Architekturstudenten Martin Fröhlich und Ulf Neumeister, die fehlende Professionalität durch Wahrhaftigkeit aufwiegen.
Wolfgang Knappe, Stadtjugendpfleger in Weimar und Drahtzieher der Kromsdorfer Unternehmung, setzt, wenn er die Suche nach nationaler und vor allem auch regionaler Identität provozieren will, die Existenz einer solchen voraus. Er hält Kultur und Geschichte dieser Region für das Wertvollste, was die Alten den Jungen weiterzugeben hätten. Und er ist dabei Utopist. Denn Knappe hält weder den Humanismus noch die Jugend für verloren und will beide zusammenbringen in einer Zeit, da Mammons Verlockungen massiver sind denn je.
Sein Bekenntnis zum Humanismus macht er an zwei Grundpfeilern fest: Faust (Identität) und Bauhaus (Methode). Bei seinem, wie jener Don Quijotes gegen die Windmühlen anmutendem, Kampf läßt er sich auch nicht politisch, links, rechts oder sonstwo einordnen. Knappe, nach eigener Aussage ein „schöpfungsgläubiger Mensch mit einem Horror vor jeder institutionalisierten Konfession“ meint, daß die humanistische Universalität frei ist von „Links oder Rechts“.
So setzt er in seinem Konzept als Jugendpfleger gegen die auch in Weimar zugenommene Radikalisierung der Jugendszene auch auf Akzeptanz und Kommunikation. „Mit ihrer Ignoranz und Ausgrenzung schaufeln sich die Altvorderen selbst ihr Grab. Gewalt findet auch durch Ausgrenzung statt. Mag körperliche Gewalt evolutionär ein Schritt zurück sein, ist sie doch ehrlicher als die Gewalt der Ausgrenzung.“ Er hat erwirkt, daß den Jugendlichen der linksextremen Gruppierung ein Haus in der Weimarer Gerberstraße übergeben wurde und hofft auf eine ähnliche Lösung für die Rechtsradikalen. Darin sieht er keine Förderung, sondern eine Kanalisierung des Extremismus. Menschen will er anerkennen nur durch ihre Leistung, und er will ihnen dafür Spielraum verschaffen statt sie auszugrenzen.
Wolfgang Knappe hat selbst schon einmal Ausgrenzung erfahren. Vor fast genau vier Jahren, als Kulturfunktionär vor dem Berufsverbot stehend, der Weimar liebt, ging er nach Hamburg. Daß er bald nach dem heißen Herbst 89 zurückkam, hat etwas mit seinem Utopismus zu tun.
„Luftbereinigung aus eigener Kraft“ und „wir müssen unsere Lumpen selber waschen“, nennt er das, wovon er sich nicht ausschließen will und kann. „Heute bin ich teilweise schlimmeren Anfeindungen ausgesetzt als damals, bin aber auch stärker. Erfahrung macht stark und klug“, sagt Knappe und rennt weiter an. Es sind nicht alles nur Windmühlengefechte.
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