: Der Tag, an dem das Geld kam...
■ Die „technische Meisterleistung“ erwies sich als Dolchstoß für die Produktion der Noch-DDR
Die neue Zeit begann, wie die alte geendet hatte: mit Schlangestehen — diesmal vor Bankschaltern, an denen die DDR-Mark 1:1 in harte D-Mark gewechselt wurde. Vor einem Jahr, am 1. Juli 1990, trat die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion mit der Noch-DDR in Kraft. Rund drei Monate, bevor die DDR endgültig in die Bundesrepublik Deutschland aufgehen sollte, begann ein gigantisches ökonomisches Experiment an 16 Millionen Menschen: die radikale Ankopplung der einst mauergeschützten DDR-Wirtschaft an den Weltmarkt.
Von einem Tag auf den anderen wurde so die Marktwirtschaft in den künftigen neuen Bundesländern eingeführt. Lastwagenweise und schwerbewacht hatte die Bundesbank bis zum Stichtag 25 Milliarden bare D-Mark in die DDR gebracht. Ein Viertel der druckfrischen Banknoten wurde sofort in Umlauf gebracht. Einkommen, Ersparnisse und Mieten wurden zum Kurs von eins zu eins umgestellt. Für Verbindlichkeiten wie Unternehmensschulden galt der Kurs von zwei zu eins. Der zum 1. Juli 1990 erwartete Kaufrausch der neuen D-Mark-Besitzer blieb zu Beginn noch aus. Eine Woche später, am ersten verkaufsoffenen Samstag nach der Währungsumstellung, stürmten DDR-BürgerInnen westdeutsche Kaufhäuser: In den Läden im Osten waren viele Waren noch nicht vorhanden, vieles aber wurde auch zu völlig überhöhten Preisen angeboten. Nepper und Spekulanten nutzten die Währungsumstellung zu lukrativen, auch illegalen Geschäften. Nicht von ungefähr folgt chronologisch im taz-Archiv auf den Ordner „Währungsunion bis 7/90“ die Akte „Wirtschaftskriminalität DDR“. Nach einem Gesetz, das die Volkskammer noch vor der Währungsunion verabschiedet hatte, um den Umtausch unrechtmäßig erworbenen Geldes zu verhindern, wurden am 11. Juli 1990 die ersten Konten von Privatpersonen und Firmen gesperrt. Ein Jahr später sind Staatsanwälte volkswirtschaftlichen Schäden in hundertfacher Millionenhöhe auf der Spur. So machte ein Devisenschieberring Millionengeschäfte mit den im Osthandel üblichen Transferrubeln: Sie datierten Lieferverträge und Rechnungen massenweise vor die Währungsunion zurück und konnten so die RGW-Verrechnungseinheit in D-Mark umrubeln. Mit der D-Mark wurden auch die wichtigsten Wirtschafts- und Sozialgesetze der BRD übernommen. Die Notaufnahme für Übersiedler, mit der die Zahlung von Überbrückungsgeld gekoppelt war, wurde abgeschafft, ebenso die Grenzkontrollen zwischen den Ländern.
Technisch — darin sind sich heute alle Experten einig — war die Währungsunion eine Meisterleistung der Deutschen Bundesbank. Und auch die von ihrem Präsidenten Karl Otto Pöhl und anderen Finanzfachleuten beschworene Gefahr eines unkontrollierten Geldmengenwachstums im Zuge der sprunghaften Erhöhung der D-Mark-Bestände um 15 Prozent stellte sich nicht ein. Die DDR-BürgerInnen verfielen keinesfalls in einen gigantischen Kaufrausch, wie manche Wessis ihnen unterstellt hatten. Kürzlich lobten auch die Deutschland-ExpertInnen der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris die Ostdeutschen für ihren besonnenen Umgang mit dem neuen Geld. Danach haben es viele DDR- BürgerInnen vorgezogen, angesichts unsicherer Zeiten einen Teil ihrer D-Mark längerfristig festzulegen und damit dem Geldkreislauf zunächst zu entziehen. Das hat letztlich die befürchtete Inflation verhindert.
Warnungen vor der Massenarbeitslosigkeit
Euphorisch reagiert ein Jahr danach allerdings niemand mehr auf das ökonomische Großexperiment. Das einzige offizielle Lob heißt „technische Meisterleistung für den schnellen Vollzug der Währungsumstellung“ — und spricht in seiner mechanischen Kühle für sich. Selbst der damals an den Verhandlungen mit der DDR beteiligte designierte Bundesbank-Vizepräsident Hans Tietmeyer hat eingeräumt, daß ohne die Währungsunion der Zusammenbruch der DDR-Produktion sich in diesem Ausmaß nicht vollzogen hätte. Allerdings wäre mit zwei Währungen die politische Einigung Deutschlands kaum so schnell möglich gewesen.
Der Plan zur Währungsunion hatte ohnehin in unvorstellbar kurzer Zeit eine Eigendynamik entwickelt, die schon einen Monat, nachdem die SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Meier am 18. Januar 1990 erstmals die Idee öffentlich geäußert hatte, wohl nicht mehr aufzuhalten war. Gegen die Warnungen von WirtschaftswissenschaftlerInnen setzten die Bevölkerungsmehrheit (Ost) und PolitikerInnen (Ost und West) die Einführung der D-Mark in der DDR durch. Bereits am 13. März, fünf Tage vor der Volkskammerwahl, versprach Kanzler Kohl den Umtausch 1:1 für Kleinsparer, ein Vorschlag, den die Bundesregierung schließlich am 23. April 1990 der DDR unterbreitete.
Die ExpertInnen von links bis rechts hatten im Februar in einer Flut von Stellungnahmen gewarnt: Große Teile der DDR—Betriebe seien nicht konkurrenzfähig und von der Pleite bedroht. Mit Massenarbeitslosigkeit müsse gerechnet werden. Dagegen setzte die Bundesregierung das Argument vom schnellen Wirtschaftswunder durch die starke D-Mark und die heilsamen Kräfte des Marktes — pure Ideologie, wie auch die Bundesregierung mit reichlich Verspätung erkennen mußte: Im März 1991 schob sie das Milliarden-Programm Aufschwung Ost nach. Donata Riedel
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