: Pardon wird nicht gegeben-betr.: "Unterm Strich" (Hermann Kant), taz vom 14.6.91
betr.: „Unterm Strich“ (Hermann Kant), taz vom 14.6.91
[...] Viele reduzieren den Autor Hermann Kant neuerdings auf den alerten Funktionär, der im Schriftstellerverband mit angeblich geradezu mafiotischen Methoden der SED-Doktrin obsiegen half und — nebenher und mehr zufällig — ein paar schlechte Bücher schrieb. Mindestens ebenso viele achten ihn hingegen als den Verfasser von Die Aula und Der Aufenthalt, der sie verstehen ließ: Literatur ist oft jene andere Ebene des Lebens, aus der man, jedenfalls in ihren besten Stücken, zu seinem Schrecken und zu seiner Verwunderung erfährt, was alles geschieht und geschehen kann in einem ganz einfachen, scheinbar bedeutungslosen Dasein, das man zu führen glaubt. Selbstentdeckung heißt eines der stillen Geschäfte von Literatur, und Hermann Kant — so empfinden es zahllose Leser — hat dazu angestiftet. Erst sich selbst und dann andere. Ich höre die Kritiker Hermann Kants nun fragen, darf man das Ergebnis erfahren, wenn es denn überhaupt wahr sein sollte, daß er nicht wenigen Lesern auf die Gedanken-Sprünge half und zu ihrer Selbst- Erfahrung beitrug? Weit können die Gedanken ja wohl nicht gegangen sein und die Erfahrungen nicht getragen haben, denn weg ist die sozialistische Unternehmung in deutschen Landen, als deren Aktivist sich Kant auch heute noch bekennt, ein vergleichsweise seltenes Vorkommnis. Hermann Kant ist Realist genug, seinen Anteil an der Niederlage zu tragen, die alle erlitten, für die die untergegangene DDR nicht nur ein mehr oder weniger zufälliges Zuhause war, sondern ein bewußt gewähltes alternatives Deutschland, das den von Stand und Besitz Nichtprivilegierten eine wirkliche Chance gab. Wenn das vorerst auf Nimmerwiedersehen verschwindet, kann man sich schlecht zum Sieger der Geschichte erklären.
Aber die ganze Wahrheit ist das nicht. Hermann Kant hat Bücher geschrieben, die ihn und das verschwundene Zweitland womöglich überleben werden. Literatur ist nicht zu tilgen wie ein sich auslöschender Staat. Man kann Kant wahrlich nicht vorwerfen, nur kleine Fragen zum Gegenstand seiner Kunst gewählt zu haben.
Auch wenn es nun, mit durchaus vorhandenen Gründen, viele nicht mehr wahrhaben wollen: Hermann Kant hat, nicht nur mit seinen Büchern, sondern mit all seiner im ganzen freundlichen Persönlichkeit, der Spröde und Giftigkeit allerdings nicht fremd sind, gegen die in der einstigen DDR wahrhaft immer gegenwärtige Gefahr gekämpft, Kunst und künstlerisch Tätige auf das Maß von Trägerraketen der Agitation oder Mägden der Politik zurechtzustutzen. Er bestand auf Eigen-Sinn von Kunst und Künstlern. Dank ist ihm daraus nicht geworden, nur ein Stammplatz in den eigenen Reihen zwischen den Fronten. Daß er dennoch den Mut vor Königsthronen nicht verlor, daß er — ebenso häufig ungefragt wie viele — die Klappe aufmachte, während andere schwiegen oder abwesend waren, sollte man vielleicht jenen nicht vorwerfen, aber ihm zugute halten.
Daß dies derzeit kaum passiert, hängt vor allem mit dem unseligen Ausschluß von Mitgliedern aus dem Schriftstellerverband im Jahre 1979 zusammen, darunter Stefan Heym. Dies geschah unter Kants Präsidentschaft. (Vgl. Dokumentation Protokoll eines Tribunals, Rowohlt, Januar 1991) Er hat auch selbst für die Ausschlüsse gestimmt. So unbillig es ist, den Vorgang aus dem damaligen Kontext herauszulösen, er bleibt eine Unverzeihlichkeit, die Hermann Kant seitdem nachklappert wie eine Schnur mit Büchsen dran. Er hat sich zu seiner schuldhaften Verstrickung inzwischen mehrfach bekannt, aber Pardon wird in diesen Zeiten schon gar nicht gegeben.
Zu seinem Geburtstag will ich ihm vor allem Gesundheit wünschen. Denn nicht zuletzt die vielzitierten „Kämpfe unserer Zeit“ haben sein Herz beschädigt, das inzwischen operiert wurde. Außerdem hat dieser Mann die fatale Angewohnheit, in sein Leben bizarre Autounfälle einzustreuen wie andere einen Tierparkbesuch. Die anhaltende Unterbrechung dieser Tradition wäre begrüßenswert. Denn es bleibt auch so schwierig. Brigitte Zimmermann,
Jörg Lutter
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